Die Bücher und das Paradies
sehr wenig mit dem Verlauf meiner Geschichte
zu tun haben (stelle ich mir vor), aber wenn ich es nicht
täte, könnte ich nicht erzählen.
Im Foucaultschen Pendel lasse ich die beiden Verlage Manuzio und Garamond in zwei verschiedenen, aber an
der Rückseite aneinanderstoßenden Gebäuden residieren,
zwischen denen es einen Durchgang mit einer Mattglastür
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und drei Stufen gibt. Ich habe lange berechnet, wie dieser
Durchgang zwischen zwei Gebäuden in der Mailänder
Innenstadt beschaffen sein könnte und ob es da einen
Niveauunterschied zu bedenken gab, wozu ich mehrere
Pläne gezeichnet habe. Der Leser steigt jene drei Stufen
hinauf, ohne sie zu beachten (glaube ich), aber für mich
waren sie fundamental.
Manchmal habe ich mich gefragt, ob es wirklich nötig
war, meine Welt so detailliert zu entwerfen, wenn diese
Einzelheiten dann später in der Erzählung gar nicht
hervortraten. Aber ich brauchte sie wohl, um mich mit
dem Ambiente vertraut zu machen. Im übrigen hat mir
einmal jemand erzählt, daß Luchino Visconti, wenn in
einem seiner Filme zwei Personen von einer Schatulle
voller Juwelen sprechen sollten, darauf bestand, daß sich
echte Juwelen in der Schatulle befanden, auch wenn sie
gar nicht geöffnet wurde, da sonst die Personen nicht
glaubwürdig gewesen wären – das heißt, die Schauspieler
mit weniger Überzeugung gespielt hätten.
So hatte ich für den Namen der Rose alle Mönche der
Abtei gezeichnet. Ich hatte sie fast alle mit Bart
gezeichnet, obwohl ich keineswegs sicher war, daß die
Benediktiner zu jener Zeit Bärte trugen (die Frage wurde
dann bei den Dreharbeiten für den Film zu einem
philologischen Problem, das Jean-Jacques Annaud mit
Hilfe mehrerer wissenschaftlicher Berater lösen mußte).
Man beachte, daß im Roman nirgendwo gesagt wird, ob es
jene Bärte gibt oder nicht. Aber ich brauchte sie, um mir
meine Personen vorstellen zu können, während ich sie
reden und handeln ließ, sonst hätte ich nicht gewußt, was
sie sagen sollten.
Für das Foucaultsche Pendel habe ich viele Abende bis zur Schließung im Pariser Conservatoire des Arts et
Metiers verbracht, wo einige der wichtigsten Szenen des
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Romans spielen. Um von den Templern sprechen zu
können, bin ich in den Forèt d’Orient in der Nähe von
Troyes gefahren, wo es Reste von ihrer Ordensburg gibt
(auf die dann im Roman nur mit ein paar kurzen Worten
angespielt wird). Um Casaubons nächtlichen Gang durch
Paris zu beschreiben, vom Conservatoire zur Place des
Vosges und dann bis zum Eiffelturm, bin ich mehrere
Male nachts zwischen zwei und drei Uhr mit einem
Taschenrecorder durch die Straßen gelaufen und habe
alles auf Band gesprochen, was ich sah, um nicht die
Straßennamen und die Kreuzungen zu verwechseln. Für
die Insel des vorigen Tages bin ich natürlich in die Südsee gereist, genau zu der geographischen Position, von der ich
erzähle, um die Farben des Meeres, des Himmels, der
Fische und der Korallen an den verschiedenen Tageszeiten
zu sehen. Aber ich habe auch zwei bis drei Jahre über
Zeichnungen und Modellen von Schiffen der Epoche
gearbeitet, um zu wissen, wie groß eine Kabine oder ein
Verschlag im Unterdeck sein konnte und wie man von der
einen zum anderen gelangte.
Als mich kürzlich ein ausländischer Verleger fragte, ob
es nicht sinnvoll wäre, dem Roman einen Aufriß des
Schiffes beizugeben, ähnlich dem Plan der Abtei auf dem
Vorsatzblatt von Der Name der Rose , drohte ich ihm mit meinem Anwalt. Im Namen der Rose wollte ich, daß der
Leser genau begriff, wie die Umgebung beschaffen war, in
der Insel des vorigen Tages wollte ich, daß der Leser sich verirrte und sich nicht mehr zurechtfand in dem kleinen
Labyrinth jenes Schiffes, das immer neue Überraschungen
bereithielt. Doch um von einem dunklen, Ungewissen,
zwischen Traum und Wachen und Alkoholrausch erlebten
Raum erzählen zu können und dem Leser den Kopf zu
verwirren, mußte ich den Kopf vollkommen klar haben
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und mich beim Schreiben immer auf einen millimeter-
genau berechneten Bauplan des Schiffes beziehen.
Von der Welt zum Stil
Ist die Welt einmal entworfen, ergeben sich die Worte von
selbst und sind (wenn alles gutgeht) genau die richtigen
für diese Welt und das, was in ihr geschieht. Deshalb folgt
der Stil im Namen der Rose dem der mittelalterlichen
Chronisten, die – immer gleichbleibend – präzise, getreu,
naiv und staunend erzählten, gelegentlich auch platt
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