Die Buecher und das Paradies
durch einige »seriöse« Autoren (von Michelet und Quinet bis Garibaldi und Gioberti) wurde dieses Motiv durch einen Romanautor populär gemacht, nämlich durch Eugène Sue. In seinem Roman Der Ewige Jude erscheint der böse Rodin, Inbegriff der jesuitischen Weltverschwörung, unverkennbar als eine Neuauflage der Unbekannten
Oberen freimaurerischen wie klerikalen Gedenkens. Und er taucht erneut in Sues letztem Roman Die Geheimnisse des Volkes auf, in dem der teuflische Plan der Jesuiten bis ins letzte verbrecherische Detail dargelegt wird. Rudolf von Gerolstein, der aus den Geheimnissen von Paris in diesen Roman migriert ist, enthüllt den jesuitischen Plan und prangert mit feurigen Worten an, »wie schlau dieser höllische Plan erdacht worden ist, welch furchtbare Leiden, welch grauenhafte Beherrschung, welch schrecklichen Despotismus er für Europa und die Welt bereithält, falls er je gelingen sollte ...«
1864, nachdem Sues Romane erschienen sind, schreibt ein gewisser Maurice Joly eine liberal inspirierte Satire gegen Napoleon III., worin Machiavelli, der den Zynismus des Diktators repräsentiert, in der Hölle mit Montesquieu debattiert. Dabei legt der Autor das von Sue beschriebene Jesuitenkomplott fast wörtlich seinem Machiavelli - also Napoleon III. - in den Mund.
1868 veröffentlicht Hermann Goedsche, ein deutscher Postbeamter, der bereits andere offenkundig verleumderische Broschüren geschrieben hatte, unter dem Pseudonym »Sir John Retcliffe« einen Schauerroman mit dem Titel Biarritz, in dem eine okkulte Zeremonie auf dem Prager Judenfriedhof beschrieben wird. Goedsche hatte einfach eine Szene aus Dumas’ 1849 veröffentlichtem Roman Joseph Balsamo kopiert, in der jenes Treffen zwischen Cagliostro als Chef der Unbekannten Oberen und anderen Erleuchteten geschildert wird, bei dem dann alle das Komplott mit dem Halsband der Königin planen. Doch anstelle von Cagliostro & Co. läßt Goedsche die Vertreter der zwölf Stämme Israels auftreten, die sich auf dem Prager Friedhof versammeln, um die Eroberung der Welt vorzubereiten, wie der Großrabbiner ohne Umschweife enthüllt. Acht Jahre später, 1876, steht dieselbe
Geschichte in einer russischen Hetzschrift namens Die Juden, Herren der Welt, aber so, als wäre sie wirklich geschehen. 1881 bringt sie die französische Zeitung Le Contemporain, die behauptet, sie aus sicherer Quelle zu haben, nämlich von dem englischen Diplomaten Sir John Readcliff. 1896 wird die Rede des Großrabbiners (der jetzt John Readclif heißt) erneut in dem Buch Les Juifs, nos contemporains von François Bournand abgedruckt. Und von nun an wird das von Dumas erfundene Freimaurertreffen, verschmolzen mit dem von Sue erfundenen Weltverschwörungsplan der Jesuiten, den Joly dann Napoleon III. in den Mund gelegt hat, zur »wahren« Rede des Großrabbiners und erscheint in diversen Formen an verschiedenen Orten.
Um die Jahrhundertwende tritt eine Figur auf den Plan, die keine Romanfigur ist, aber eine zu sein verdiente: Pjotr Iwanowitsch Ratschkowski, ein Russe, der Kontakte zu linksextremen Gruppen gehabt haben soll, dann Polizeispitzel geworden war, sich der rechtsextremen Terrororganisation »Schwarze Hundertschaften« genähert hatte und schließlich zum in Paris residierenden Auslandschef der zaristischen Geheimpolizei, der gefürchteten Ochrana ernannt worden war. Dieser Ratschkowski nun läßt, um seinem Beschützer, dem Minister Sergej Witte, gegen einen politischen Widersacher namens Ilja Zion oder Elie de Cyon zu helfen, dessen Landhaus am Genfer See durchsuchen und findet darin einen Text, in dem Cyon das Pamphlet von Joly gegen Napoleon III. abgeschrieben, aber die Ideen Machiavellis nun Witte unterschoben hat. Ratschkowski, ein glühender Antisemit - dies alles geschah zur Zeit der Affäre Dreyfus -, nimmt diesen Text, streicht darin jeden Hinweis auf Witte und unterschiebt die Witte unterschobenen Weltverschwörungsideen kurzerhand den Juden. Man kann nicht Cyon oder gar Zion heißen, ohne den Gedanken an ein jüdisches Komplott heraufzubeschwören.
Der so von Ratschkowski hergerichtete Text war vermutlich die erste Quelle der berüchtigten Protokolle der Weisen von Zion. Daß diese »Protokolle« fiktiv waren, lag auf der Hand, da es außer in einem Roman von Sue wenig glaubhaft ist, daß die »Bösen« ihre ruchlosen Pläne so offen und schamlos ausbreiten. Erklären diese »Weisen« doch unverhüllt, sie hätten »einen grenzenlosen Ehrgeiz, eine verzehrende
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