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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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es seit der Antike, der Streit über das Lachen war in die mittelalterliche Welt eingebrochen, der Zerfall der Ordnung hatte, wenn man so will, bei Occam begonnen, Spiegel waren im Roman de la Rose gefeiert und schon von den Arabern zu einem Forschungsgegenstand gemacht worden, außerdem war ich bereits als Schüler von einem Rilke-Gedicht über Spiegel fasziniert gewesen. Hätte ich all diese Elemente ohne Borges katalysiert? Wahrscheinlich nicht. Aber hätte Borges geschrieben, was er geschrieben hat, wenn hinter ihm nicht all jene Texte gestanden hätten, von denen ich gesprochen habe? Wie kommt es, daß er die Idee des Labyrinths und die der Spiegelmysterien katalysiert hat? Auch seine Arbeit bestand darin, sich aus dem unermeßlichen Gebiet der Intertextualität eine Reihe von Themen herauszugreifen, die bereits darin umherwirbelten, und sie in ein exemplarisches Gleichnis zu verwandeln.
    Ich möchte nun alle diejenigen Fälle beleuchten, in denen die Suche nach einem direkten Einfluß gefährlich
    ist, weil man dabei gerade die intertextuellen Bezüge aus dem Auge verlieren kann. Borges ist ein Autor, der praktisch über alles geschrieben hat. Man wird kaum ein Thema der Kulturgeschichte finden, mit dem er sich nicht wenigstens einmal kurz beschäftigt hat. Gerade gestern hat jemand hier den Verdacht geäußert, Borges könnte Platon beim Schreiben des Parmenides beeinflußt haben, da er dieselben Personen wie Platon ins Spiel gebracht hatte. Gestern war auch von der »Bacon-Shakespeare-Kontroverse« die Rede, und mit Sicherheit hat sich Borges auch dazu geäußert, aber es gibt zu diesem Thema eine immense Literatur, die im 17. Jahrhundert beginnt, sich mit monumentalen (und verrückten) Werken im 18. Jahrhundert fortsetzt und bis heute andauert mit pseudo-geheimen Gesellschaften, die unermüdlich Shakespeares Werke nach Spuren von Francis Bacon durchsuchen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Idee -daß die Werke des großen Barden von einem anderen geschrieben worden seien, der im Text verstreut zwischen den Zeilen seine Spuren hinterlassen habe - Borges faszinieren mußte. Aber es ist nicht gesagt, daß ein Autor, der heute die Shakespeare-Kontroverse erwähnt, dabei Borges zitiert.
    Nehmen wir die Frage der Rose. Wie ich schon mehrmals erzählt habe, war der Titel Der Name der Rose von ein paar Freunden aus einer Liste von zehn möglichen Titeln ausgewählt worden, die ich im letzten Moment aufs Papier geworfen hatte. Tatsächlich war mein erster Titel Verbrechen in der Abtei (ein offenkundiges Zitat des in englischen Kriminalromanen beliebten »Murder in the Vicarage«), und der Untertitel war Storia italiana del XIV secolo (»Italienische Geschichte aus dem 14. Jahrhundert« - ein Manzoni-Zitat). Dann kam mir dieser Titel ein bißchen schwerfällig vor, und ich stellte eine Liste möglicher Alternativen auf, von denen mir Blitiri am besten gefiel (»Blitiri« ist wie »Babazuf« ein spätscholastischer Terminus für ein Wort ohne jeden Sinn), und da in der letzten Zeile des Romans ein Vers von Bernardus Morliacensis zitiert wird, den ich wegen seines nominalistischen Anklangs gewählt hatte (Stat rosa pristina nomine etc.), hatte ich auch Der Name der Rose auf die Liste gesetzt. Wie andernorts ausgeführt, schien mir das deshalb ein guter Titel zu sein, weil es so unbestimmt war, weil die Rose in der Geschichte der Mystik und der Literatur so viele verschiedene, oft widersprüchliche Bedeutungen angenommen hat, daß sie schon beinahe gar nichts mehr bedeutet, und so hoffte ich, daß dieser Titel sich eindeutigen Dechiffrierungen widersetzen würde.
    Vergebens: Alle haben nach einer präzisen Bedeutung gesucht, und viele haben darin eine Bezugnahme auf Shakespeares a rose by any other name gesehen, was genau das Gegenteil dessen bedeutet, was Bernardus sagen wollte. Auf jeden Fall kann ich schwören, daß ich überhaupt nicht an das Vorkommen der Rose bei Borges gedacht hatte. Dennoch finde ich es sehr schön, daß Maria Kodama hier vorgestern einen Bezug zu Angelus Silesius hergestellt hat, vermutlich ohne zu wissen, daß über die Beziehungen meines Titels zu Angelus Silesius vor Jahren Carlo Ossola einen höchst gelehrten Aufsatz geschrieben hat. 9 Ossola hatte bemerkt, daß auf den letzten Seiten meines Romans eine Collage von Zitaten spätmittelalterlicher Mystiker steht, unter die ich aber in maliziösem
    Anachronismus auch ein Zitat von Angelus Silesius gemischt hatte. Dieses Zitat hatte ich

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