Die Buecher und das Paradies
Ideenmusik von Joyce habe). Was soll ich sagen? Daß ich mich angesichts der Melodien von Borges, die so unmittelbar kantabel sind (auch wo sie atonal sind), so eingängig und exemplarisch, immer wie jemand fühle, der nach dem Auftritt eines göttlichen Pianisten ein wenig auf der Okarina herumgeblasen hat.
Ich hoffe aber, daß sich nach meinem Tod noch jemand findet, der noch ungeschickter ist als ich, als dessen Vorläufer ich dann anerkannt werden kann.
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Vortrag am 22. Mai 1997 in der Universität von Kastilien-La Mancha anläßlich der Verleihung einer Ehrendoktorwürde.
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Zur selben Zeit fand in der Universität von Kastilien-La Mancha ein mehrtägiger Kongreß über »Literarische Beziehungen zwischen Jorge Luis Borges und Umberto Eco« statt, vgl. dazu den folgenden Aufsatz.
Cambridge, Harvard University Press, 1986.
Deutsch von Curt Meyer-Clason, Lob des Schattens, Ges. Werke Bd. 2, Gedichte 1969 - 1976, Hanser 1980, S. 44 (A. d. Ü.).
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Von Eco andernorts auch »Ausdruck und Inhalt« genannt, z. B.
Semiotik und Philosophie der Sprache, München, Fink, 1985, S. 193 (A. d. Ü.).
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München, C. H. Beck, 1994, 3. rev. Aufl. 1995 (A. d. Ü.).
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Lob des Schattens, deutsch von BK.
Carlo Ossola, »La rosa profunda. Metamorfosi e variazioni sul
Nome della rosa«, in Lettere Italiane, 4, 1984; jetzt unter dem Titel »Purpur Wort« in dem Band Figurato e rimosso. Icone di interni del testo, Bologna, Il Mulino, 1988.
Im Wald der Fiktionen, Hanser 1994, S. 67 ff. (A. d. Ü.).
Anspielung auf eine Kongreß-Diskussion über Borges als »Vorläufer Kafkas«, ausgelöst durch Borges’ Essay »Kafka und seine Vorläufer« (Ges. Werke 5/II, S. 114 - 117), in dem es am Ende heißt: »Tatsache ist, daß jeder Schriftsteller seine eigenen Vorläufer erschafft.« (A. d. Ü.)
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Gekürzte Fassung des Schlußbeitrags zu dem Kongreß »Relaciones literarias entre Jorge Luis Borges y Umberto Eco« an der Universidad de Castilla-La Mancha (unter Mitwirkung des Department of Italian Studies und des Emilio Goggio Chair der University of Toronto) im Mai 1997.
Vorwort zu Piero Camporesi, The Juice of Life, New York, Continuum, 1995 [Orig.: Il sugo della vita: simbolismo e magia del sangue, Mailand, Mondadori, 1988, dt. bisher nicht erschienen, A. d. Ü.].
7
Im Original deutsch: lo Zeitgeist (A. d. Ü.).
Autor-, Werk- und Leser-Intention, vgl. Ecos Untersuchung Die Grenzen der Interpretation, Hanser 1992, S. 35 ff. (A. d. Ü.).
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1963; deutsch Platon im Striptease-Lokal. Parodien und
Travestien, Hanser 1990 (A. d. Ü.).
9
Paul Arnold, Histoire des Rose-Croix, Paris, Mercure de France, 1955, Neudruck 1990 mit einem Vorwort von Umberto Eco (A. d. Ü.).
10
»Averroes auf der Suche«, in Das Aleph, Ges. Werke 3/II (A. d. Ü.).
Über Camporesi: Blut, Körper, Leben 1
Schwer zu sagen, wer Piero Camporesi ist. Sicher ein Ethnologe, denn er hat in rund fünfzehn Büchern die verschiedenen Aspekte dessen studiert, was man das materielle Leben nennt, die Sitten und Bräuche, die Verhaltensweisen (und zwar besonders die »niederen«, jene, die mit dem Körper, mit der Nahrungsaufnahme, mit Blut, Kot und Sex zusammenhängen). Doch von einem Ethnologen erwartet man, daß er Feldstudien betreibt, daß er die Mythen und Bräuche noch existierender Kulturen erforscht.
Camporesi liest jedoch Texte. Er liest literarische Texte, oder jedenfalls solche, die zur Geschichte der Literatur gehören. Sein akademisches Fach ist die Literaturgeschichte (die italienische, so steht es im Vorlesungsverzeichnis der Universität Bologna, aber Camporesi macht häufig Ausflüge in andere Literaturen).
Allerdings liest und entdeckt er Texte, die von den Literaturgeschichten ignoriert worden sind, weil darin Fragen des Alltagslebens, moralische oder physische Probleme behandelt werden. Manchmal haben die offiziellen Literaturgeschichten zwar diese Texte in Betracht gezogen, aber nur unter dem Aspekt des Stils, nicht des Inhalts. Camporesi jedoch hat sein Leben damit verbracht, sie als Zeugnisse einer Lebensweise zu lesen. Camporesi ist also ein Ethnologe, der nicht das Leben der heutigen Menschen studiert, seien sie auch »Wilde« oder »Primitive«, sondern das Leben der (höchst zivilisierten) Menschen in der Vergangenheit.
Ich möchte das näher erläutern. Camporesi ist wie jemand, der einen Raum betritt, in dem ein Teppich mit herrlichen Mustern in prächtigen Farben liegt, den
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