Die Buecher und das Paradies
nach einem Titel daran gedacht hatte, einen von Vittorini zu zitieren, nämlich Piccola borghesia, nur wollte ich ihn zu Piccola Borgesia verändern. Dies nur, um zu sagen, wie sich damals ein Spiel von Einflüssen und Bezugnahmen abzuzeichnen begann.
Freilich hätte ich mir eine Bezugnahme auf Borges damals nicht erlauben können, da ihn noch kaum jemand in Italien kannte. Erst in den sechziger Jahren wurde er definitiv und mit allen seinen Werken bei uns heimisch, vor allem durch Vermittlung von Domenico Porzio, einem teuren Freund, der ein Mann von großer geistiger Offenheit und Belesenheit, dabei aber traditionsverhafteter
Kritiker ist. Borges galt bei uns in der Zeit, als wir den Streit über die Neoavantgarden austrugen, nicht als ein avantgardistischer Schriftsteller. Es war die Zeit, in der die Novissimi erschienen und dann die Gruppe 63, und die Vorbilder waren Joyce und Gadda. Die Neoavantgarde interessierte sich für ein experimentelles Schreiben, das am Signifikanten arbeitete (das Modell war das der unlesbaren Bücher). Borges dagegen, der in einer klassischen Sprache schrieb, arbeitete an den Signifikaten und infolgedessen war er für uns alle ein Outlaw, eine verwirrende, schwer einzuordnende Gestalt. Um es grob zu sagen: Während Joyce oder Robbe-Grillet links standen, stand Borges rechts. Und da ich diese Unterscheidung nicht im politischen Sinn verstanden wissen möchte, könnte ich es auch umgekehrt sagen, und der Gegensatz bliebe derselbe.
In jedem Fall war Borges für einige von uns nur so etwas wie eine »private Liebe«. Erst später, nach einem langen Umweg, ist er von den Neoavantgarden anerkannt und adoptiert worden.
Zu Beginn der sechziger Jahre war das Phantastische entweder traditionelle Erzählung oder Science-fiction, weshalb es zwar vorkam, daß jemand einen Aufsatz über Science-fiction und das Phantastische schrieb, aber das hatte nichts mit Literaturtheorie zu tun. Ich glaube, das Interesse für Borges setzte Mitte der sechziger Jahre mit dem ein, was man die strukturalistische und semiologische Welle genannt hat.
Hier muß noch ein anderer Irrtum korrigiert werden, der immer wieder auftaucht, auch in Werken, die sich als wissenschaftlich verstehen: Es heißt heutzutage, die italienische Neoavantgarde (die Gruppe 63) sei strukturalistisch gewesen. In Wahrheit interessierte sich niemand außer mir für strukturalistische Sprachwissenschaft, und bei mir war es ein Privatvergnügen, entstanden im universitären Milieu zwischen Pavia (Cesare Segre, Maria Corti, Silvio D’Arco Avalle) und Paris (meine Begegnungen mit Roland Barthes).
Warum meine ich, das Interesse für Borges sei mit dem Strukturalismus entstanden? Nun, eben weil Borges sein experimentelles Schreiben nicht an den Wörtern, sondern an den begrifflichen Strukturen festmachte und weil man nur mit einer strukturalistischen Methode anfangen konnte, seine Arbeit zu analysieren und zu verstehen.
Als ich dann den Namen der Rose schrieb, lag es auf der Hand, daß ich beim Bau der Bibliothek an Borges dachte. Wenn Sie meinen Artikel »Codice« in der Enciclopedia Einaudi lesen, werden Sie sehen, daß ich darin unter anderem ein Experiment mit der Bibliothek von Babel mache. Nun, dieser Artikel ist 1976 geschrieben worden, zwei Jahre bevor ich den Namen der Rose zu schreiben begann, woran Sie sehen, daß mir Borges’ Bibliothek schon seit langem im Kopf herumging. Als ich dann den Roman zu schreiben begann, kam sie mir ganz natürlich wieder in den Sinn und mit ihr die Idee eines blinden Bibliothekars, den ich Jorge von Burgos zu nennen beschloß. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich dann wegen dieses Beschlusses über die Geschichte von Burgos informierte, oder ob ich schon vorher gewußt hatte, daß dort das pergamino de pano hergestellt worden war, das heißt das erste Papier anstelle von Pergament. Manchmal gehen die Dinge sehr schnell, man liest da und dort etwas und erinnert sich dann nicht mehr, was zuerst gekommen war.
Später haben mich alle gefragt, warum Jorge der »Böse« in meiner Geschichte wird, und meine einzige Antwort war und ist, daß ich zu der Zeit, als ich meinem Bibliothekar diesen Namen gab, noch nicht wußte, was er tun würde (und genauso war es dann auch bei meinen anderen Romanen, weshalb der von vielen gemachte Versuch, präzise Anspielungen auf diesen oder jenen zu finden, in der Regel nur Zeitverschwendung ist). Dennoch will ich nicht ausschließen, daß ich in dem Moment, da mir der Geist
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