Die Buecher und das Paradies
heute von Symbol sprechen, tun wir das, weil es den französischen Symbolismus gegeben hat, als dessen Manifest man Baudelaires Correspondances betrachten kann: Die Natur ist ein Tempel, aus dessen lebendigen Pfeilern manchmal wirre Worte dringen, comme de longs échos qui de loin se confondent / dans une ténébreuse et profonde unité / vaste comme la nuit et comme la clarté. 5
Erst jetzt kann man mit Mallarmé une fleur sagen und dabei unentschieden lassen, was das Wort evozieren soll, denn am Ende ist es gerade die vielsagende Abwesenheit aller Blumenpracht, und somit ist alles nichts, und wir können uns nur bestürzt in alle Ewigkeit fragen, was das sein mag, le vierge, le vivace et le bei aujourd’bui.
Doch an diesem Punkt gibt es keine Objekte mehr, seien sie Embleme, mysteriöse Figuren oder einzelne Wörter, die von sich aus einen Symbolwert haben. Auch Mallarmés Blume hätte keinen, wäre sie nicht in die Strategie der leeren weißen Seite eingefügt. Das Symbol wird zu einem vom Text und Kontext produzierten Sinneffekt, und unter diesem Titel kann nun jedes beliebige Bild, jedes Wort, jedes Objekt einen Symbolwert annehmen.
Welcher semiotische Schlüssel bietet sich uns, nicht zur Interpretation, sondern zur Individuation jener Textstrategie, die ich symbolischen Modus zu nennen beschlossen habe?
Die Anregung hat uns vor einiger Zeit ein leidenschaftlicher, notgedrungen entschlossener Erforscher zweiter Bedeutungen gegeben: Augustinus. Wenn uns etwas in der Heiligen Schrift, obwohl es semantisch verständlich ist, irgendwie sonderbar vorkommt, überflüssig, überschüssig, unerklärlich auffällig, dann muß nach einem zweiten Sinn gesucht werden, der sich dahinter verbirgt. Die Aufmerksamkeit für den symbolischen Modus ergibt sich aus der Entdeckung, daß etwas im Text steht und einen Sinn ergibt, obwohl es ebensogut auch fehlen könnte, so daß man sich fragt, warum es dasteht. Dieses Etwas ist nicht Metapher, denn sonst würde es den gesunden Menschenverstand beleidigen, würde die stumpfe Reinheit der Nullstufe des Schreibens verunreinigen. Es ist nicht Allegorie, denn es verweist nicht auf irgendeinen heraldischen Kode. Es steht da, es stört uns nicht weiter, es verlangsamt höchstens ein bißchen die Lektüre, aber die Vergeudung, die es darstellt, seine unschuldige Inkongruenz, seine aus ökonomischer Sicht unangebrachte Präsenz lassen vermuten, daß es dasteht, um etwas anderes zu besagen.
Gerade die Unwesentlichkeit, die scheinbare Grundlosigkeit dieser Figur macht sie totemisch. Gerade die
Frage, die sie uns nahelegt (»Warum stehst du da, an dieser Stelle?«), treibt uns zu immer weiteren unbeantworteten Fragen. Es ist dies einer der seltenen Fälle, in denen nicht unsere dekonstruktive Hybris, sondern der Text selbst zur Abdrift einlädt.
Warum braucht Montale gut sechzig »Alte Verse«, um zu erzählen, wie eines Abends ein »scheußlicher Nachtfalter mit spitzem Rüssel« ins Zimmer eindringt, an den Lampenschirm stößt, daß die Fransen erzittern, und hektisch umherzuckend die Kartenhäuser auf dem Tisch einstürzen läßt? Es ist gerade die Belanglosigkeit der Erfahrung, die sie totemisch macht, e fu per sempre / con le cose che chiudono in un giro / sicuro come il giorno, e la memoria / in se le cresce - »und war für immer / eines der Dinge, die in einem Kreis / sich schließen wie der Tag, und das Gedächtnis / läßt sie wachsen«. 4
Warum sagt uns T. S. Eliot in Vers 30 von The Waste Land, nachdem er uns angekündigt hat, daß er uns etwas zeigen wird, was sowohl anders ist als unser Schatten am Morgen, der uns nachfolgt, wie auch anders als unser Schatten am Abend, der sich vor uns erhebt (und es liegt bei uns zu entscheiden, ob die Verse wörtlich oder metaphorisch zu nehmen sind): I will show you fear in a handful of dust - »ich werde euch die Angst in einer Handvoll Staub zeigen«? In diesem Fall übertrifft das Symbol sogar noch die Kraft der Metapher. Gewiß könnte diese Handvoll Staub eine Metapher für vieles sein, und traditionell wäre sie, gleichsam per Katachrese, eine für den Mißerfolg, das Scheitern. Wie oft im Leben haben wir für unsere Mühen nichts als eine Handvoll Staub bekommen, so daß wir den Ausdruck zu einer stehenden Redewendung gemacht haben. Aber ist es diese Angst, die uns Eliot zeigen will und die er heraufbeschwört? Mißerfolg enttäuscht, schmerzt, entmutigt, aber er macht nicht Angst, denn er enthält nichts Unerwartetes mehr.
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