Die Buecher und das Paradies
Genusses zu unterdrücken (der für ihn aus dem Glück des langsamen Erratens bestand - le suggérer, voilà le rêve!), wird in Kafkas Strafkolonie nichts suggeriert, sondern alles bis ins kleinste Detail beschrieben. Fast wie eine ingenieurwissenschaftliche Abhandlung, dazu eine juristische Erörterung von geradezu talmudischem Geist, konstruiert diese Erzählung ihre komplizierte Foltermaschine, und es ist die Beschreibung in ihrer Gesamtheit, über Seiten und Seiten, die uns die Frage nach dem Warum dieser Konstruktion aufzwingt. Nicht warum es sie gibt - denn es gibt sie nun einmal, und damit basta -, sondern was der Sinn dieses Theaters der Grausamkeit ist. Und das werden wir uns bis ans Ende unserer Tage fragen, denn jedwede Allegorisierung des Symbols würde uns bloß zu Selbstverständlichkeiten führen, würde uns immer nur sagen, was wir schon vorher wollten.
Damit komme ich zum Schlußteil meines Beitrags. Es scheint unseren eingefahrensten Vorstellungen zu widersprechen, aber in allen Jahrhunderten, in denen man vom Symbol sprach, hat man nur wenig vom symbolischen Modus gewußt. Nach ihm suchten vielleicht die Befrager des Orakels in Delphi, das bekanntlich nichts sagte und nichts verbarg, sondern sich in Andeutungen erging. Danach aber müssen wir, um einen Symbolbegriff zu finden, wie wir ihn durch die Jahrtausende verfolgt haben, bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehen, um die herum sich der symbolische Modus als bewußte Strategie durchsetzt. Vielleicht hat überhaupt erst die Neuzeit den Begriff der Poesie erfunden, bedenkt man, daß die antiken Leser ihren Homer wie eine Enzyklopädie des universalen Wissens lasen und die mittelalterlichen Vergil so benutzten, wie später Nostradamus benutzt werden sollte. Wir Heutigen sind es, die von der Dichtung - und nicht selten auch von der erzählenden Literatur -nicht nur Ausdruck von Gefühlen verlangen, beziehungsweise Beschreibung von Handlungen oder Moral, sondern auch symbolische Blitzschläge, blassen Ersatz für eine Wahrheit, die wir von den Religionen nicht mehr verlangen.
Kann das genügen? Nur für den, der ein kühles Bewußtsein von der Bedeutungslosigkeit des Universums hat, gepaart mit einem glühenden Willen zur Erlösung durch die Frage, nicht durch gefügiges Akzeptieren der Antwort.
Ist dies die Stimmungslage, die unsere Zeit kennzeichnet? Nein, und gestatten Sie mir diese moralistische Konklusion. Von der Erbschaft des symbolischen Modus hat unsere Zeit nur zwei Verfälschungen angenommen.
Die erste ist eine gebildete und kultivierte und lautet, daß sich überall ein tieferer Sinn verbirgt, daß jeder Diskurs den symbolischen Modus in Szene setzt, daß in allem Gesagten das Nichtgesagte mitschwingt, auch wenn jemand nur sagt, daß es heute regnet. Dies ist die zeitgenössische Häresie der Dekonstruktion, die so tut, als ließe uns eine Gottheit oder ein bösartiges Unbewußtes immer und ausschließlich in einer zweiten Bedeutung reden, als wäre alles, was wir sagen, unwesentlich, weil die Wesentlichkeit unserer Rede woanders steckt, im Symbolischen, das wir oft übersehen. So ist das Juwel des Symbols, das im Dunkeln aufleuchten und jäh blenden sollte (aber möglichst nur selten) zu einer Kette aus Neonlichtern geworden, die alle Diskurse durchzieht. Zuviel des Guten.
Als Interpretationsstrategie ist das nicht übel, wenn interpretieren heißt, Titel für akademische Stellenausschreibungen akkumulieren. Doch wenn jeder immer das sagt, was er eigentlich nicht sagen wollte, dann sagen alle immer dasselbe. Aus ist es mit dem symbolischen Modus als höchster Strategie der Sprache, wir reden indirekt, schräg und schief, immer in Symbolen, weil unsere Sprache krank ist. Wo es keine erkennbare Regel gibt, gibt es auch keine Normabweichung. Wir reden alle in Poesie, wir alle »enthüllen« etwas, auch wenn wir nur sagen, daß nächsten Dienstag die Versicherungsrate fällig ist. Was für eine Strafe, eine so ausweglos orphische Welt, in der kein Raum für die Sprache des Pförtners bleibt! Wo der Pförtner nicht sprechen kann, schweigt auch der Dichter.
Die zweite Häresie ist die der »Informationswelt«, die, gewohnt an Verschwörungen, an verschlüsselte Sätze, an halbe Wörter, versprochene und aufgekündigte Allianzen, herumgetratschte und dementierte Trennungen, in jedem Ereignis und jedem Ausdruck eine geheime Botschaft sucht. Verdammnis des zeitgenössischen Schriftstellers, über die ich hier nicht sprechen möchte,
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