Die Buecher und das Paradies
Verbannte auf der Suche nach dem Absoluten, dem Geräusch des Regens auf den Blättern nachhorchend und bestrebt, sich das Herz von weher Sehnsucht durchdringen zu lassen oder sich an vokalischer Chromatik zu berauschen. War dies die Symbolik des hohen Mittelalters, geschweige des späten?
Um das neuplatonische Erbe anzunehmen, mußte man, wie Dionysius Areopagita es getan hat, eine Idee des Einen als des Unergründlichen und Widersprüchlichen konzipieren, in der die Gottheit bezeichnet wurde als »leuchtender Dunst der Stille, der geheimnisvoll ... leuchtende Finsternis lehrt« (Theologia mystica, passim). Zwar bedeuten für Dionysius die Begriffe des Einen, Guten, Schönen immer Gott, so wie auch das Licht und der Blitz und die Eifersucht; aber diese Begriffe bedeuten ihn nur in »übersubstantieller« Weise: Er ist das alles, aber in einem unvergleichlich und unbegreiflich viel höheren Maße. Mehr noch, Dionysius hebt hervor (und seine Kommentatoren unterstreichen es), gerade damit klar sei, daß die Namen, die wir Gott zuschreiben, inadäquat sind, werde es gut sein, wenn sie so mißgestaltet wie irgend möglich klingen, unglaublich unpassend, fast provozierend beleidigend, außerordentlich rätselhaft, als ob das Gemeinsame, das wir zwischen Symbolisierendem und Symbolisiertem suchen, sich zwar herausfinden ließe, aber nur um den Preis akrobatischer Folgerungen und unproportioniertester Proportionen; und damit die Gläubigen, wenn Gott als Licht bezeichnet wird, sich nicht die irrige Vorstellung machen, es gebe leuchtende und golden schimmernde himmlische Wesen, werde es um so besser sein, Gott sub specie monströser Wesen zu benennen, als Bär, als Panther, oder durch obskure Unähnlichkeiten (De Coelesti Hierarchia, 2).
Diese Art zu reden, die Dionysius selber »symbolisch« nennt (zum Beispiel in De Coelesti Hierarchia, 2 und 15), hat nun jedoch nichts zu tun mit jener Erleuchtung, jener Ekstase, jener blitzartig-jähen Einsicht, die alle modernen Theorien des Symbolismus als dem Symbol eigentümlich betrachten. Das mittelalterliche Symbol eröffnet zwar einen Zugang zum Göttlichen, aber es ist keine Epiphanie des Numinosen, und es offenbart auch keine Wahrheit, die nur in Begriffen des Mythos und nicht in solchen des rationalen Diskurses ausgedrückt werden kann. Es ist eher eine Vorstufe zum rationalen Diskurs, und seine Aufgabe besteht gerade darin, im selben Moment, in dem es sich als Lehrstück und Vorstufe nützlich erweist, seine eigene Unangemessenheit offenbar zu machen: sein fast hegelianisch zu nennendes Schicksal, durch einen nachfolgenden rationalen Diskurs bewahrheitet zu werden. Mit anderen Worten, die mittelalterliche Welt war begierig auf Symbole, der mittelalterliche Mensch empfand Verwirrung, Angst und Ehrfurcht vor dem Bären und dem Panther, vor der Rose und der Eiche; aber das waren heidnische Überbleibsel. Nicht nur die Theologie, sogar die Bestiarien waren fest entschlossen, diese Symbole zu entschlüsseln, sie in Metaphern oder Allegorien zu verwandeln, um sie am freien Fluktuieren zu hindern.
Im übrigen geschieht das ja auch mit dem, was C. G. Jung Archetypen nennt und was ich unter die weitere Kategorie jener Objekte fassen würde, die ich in metaphorischem Sinne »totemisch« nennen möchte, da sie gerade durch ihre Rätselhaftigkeit gebieterisch und stimulierend sind. Jung war der erste, der uns erklärt hat, wie jedesmal, sobald diese archetypischen Bilder die Einbildungskraft des Mystikers faszinieren und ihn zu einer unendlichen Drift von einer Bedeutung zur anderen mitreißen, sofort irgendeine religiöse Autorität eingreift, um sie zu kommentieren, einem Kode zu unterwerfen und in Gleichnisse zu verwandeln. Und dann wird das totemische Objekt zu einem Symbol im degeneriertesten Sinne des Wortes, jenem, in dem wir die Erkennungszeichen der politischen Parteien als Symbole bezeichnen, auf denen wir dann das Kreuzchen (oft inkognito) unserer Zustimmung machen. Ausgestattet mit konnotativen Appellen auf verschiedenen Ebenen (insofern man für eine Fahne, ein Kreuz, einen Halbmond oder einen Hammer mit Sichel zittern oder sterben kann), stehen sie jedoch da, um uns zu sagen, woran wir glauben oder was wir ablehnen sollen. Das Heilige Herz der Vendée war längst nicht mehr das, welches die heilige Marguerite-Marie Alacoque geblendet hatte. Aus einer Erfahrung des Numinosen war es zu einem Banner geworden.
Eine Vorstellung vom Symbol als Erscheinung, die auf eine mit
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