Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
Geschichte?»
«Es kursieren Gerüchte», sagte Vater Roubert von oben herab. «Bernard de Taillebourg, ein angesehenes Mitglied unseres Ordens, wurde dieses Jahr in der Bretagne getötet. Er suchte etwas. Man hat uns nie gesagt, was, aber den Gerüchten zufolge hat er sich mit einem Mitglied der Familie Vexille eingelassen.»
«Allmächtiger», sagte der Graf. «Warum habt Ihr mir das nicht schon eher gesagt?»
«Soll ich Euch mit jeder zweifelhaften Geschichte belästigen, die in den Wirtshäusern erzählt wird?», gab Vater Roubert zurück.
Der Graf antwortete nicht. Er dachte an die Vexilles, die ehemaligen Grafen von Astarac. Einst waren sie mächtig gewesen, die Herren ausgedehnter Ländereien, aber die Familie hatte sich in die Häresie der Katharer verstrickt. Als die Kirche diese Plage mit dem Feuer ausgetrieben hatte, waren die Vexilles zu ihrer letzten Festung geflohen, der Burg von Astarac, und dort waren sie vernichtet worden. Die meisten hatten den Tod gefunden, doch einigen war es gelungen zu fliehen, sogar bis ins ferne England, wie der Graf gehört hatte. Das zerstörte Astarac, in dem nur noch Raben und Füchse hausten, war dem Lehen Berat zugeteilt worden, und wenig später waren die ersten Gerüchte aufgekommen, die Vexilles hätten einst die sagenumwobenen Schätze der Katharer gehütet und unter diesen Schätzen sei auch der Heilige Gral gewesen. Der Grund, weshalb Vater Roubert nichts von den neuen Gerüchten erwähnt hatte, war natürlich der, dass er selbst den Gral finden wollte, bevor irgendjemand anders es tat. Nun, das würde er ihm verzeihen. Der Graf ließ den Blick über den Saal schweifen. «Der Kardinalerzbischof glaubt also, irgendwo in alldem sei der Gral zu finden?» Er deutete auf seine Bücher und Schriften.
«Louis Bessières», sagte der Dominikaner, «ist ein gieriger, rücksichtsloser und ehrgeiziger Mann. Er wird die ganze Welt auf den Kopf stellen, um den Gral zu finden.»
Da begriff der Graf. Er begriff das Muster seines Lebens. «Gab es da nicht eine Geschichte», überlegte er laut, «dass der Hüter des Grals verflucht ist, solange er Gott den Kelch nicht zurückgibt?»
«Alles Unfug», sagte Vater Roubert verächtlich.
«Und wenn der Gral hier ist, Vater, selbst wenn er verborgen ist, bin ich sein Hüter.»
«Wenn.» Der Dominikaner zuckte abschätzig die Achseln.
«Also hat Gott mich verflucht», sagte der Graf staunend, «weil ich unwissentlich Seinen Schatz hüte und Ihm nicht die angemessene Verehrung zuteil werden lasse.» Er schüttelte den Kopf. «Er hat mir einen Sohn vorenthalten, weil ich Ihm den Kelch Seines Sohnes vorenthalten habe.» Er warf dem jungen Ordensbruder einen überraschend harten Blick zu. «Existiert er, Vater?»
Der Prior zögerte, dann nickte er widerstrebend. «Möglich ist es.»
«Dann sollten wir dem Mönch die Erlaubnis geben zu suchen», sagte der Graf. «Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir das Gesuchte vor ihm finden. Ihr werdet die Archive durchsehen, Vater Roubert, und nur die Urkunden an Bruder Jerôme weitergeben, in denen nicht von Reliquien, Schätzen oder gar dem Gral die Rede ist. Habt Ihr verstanden?»
«Ich werde meinen Ordensmeister um Erlaubnis ersuchen, diese Aufgabe zu erfüllen», erwiderte Vater Roubert steif.
«Ihr werdet gar nichts suchen außer dem Gral!» Der Graf schlug auf die Armlehne seines Sessels. «Ihr werdet sofort anfangen, Roubert, und nicht eher aufhören, als bis Ihr jedes einzelne Stück Pergament auf diesen Regalen durchgesehen habt. Oder wäre es Euch lieber, wenn ich Eure Mutter und Eure Brüder und Schwestern aus ihren Häusern vertriebe?»
Vater Roubert rang mit seinem Stolz, doch er war kein Dummkopf, und so verneigte er sich nach kurzem Zögern. «Ich werde die Dokumente durchsuchen, Herr», sagte er demütig.
«Und zwar jetzt gleich», beharrte der Graf.
«Wie Ihr wünscht, Herr», sagte Vater Roubert und seufzte, weil er nun nicht sehen würde, wie das Mädchen brannte.
«Und ich werde Euch helfen», erklärte der Graf enthusiastisch. Kein Kardinalerzbischof würde Berat den heiligsten Schatz auf Erden und im Himmel nehmen. Der Graf würde ihn als Erster finden.
Es dämmerte bereits, als der Dominikanermönch in Castillon d’Arbizon eintraf, und der Wachmann wollte gerade das Westtor schließen. In einem großen Kohlenbecken unter dem Torbogen hatten die Wachleute ein Feuer entzündet, um sich zu wärmen, denn die Herbstnacht versprach kühl zu werden. Fledermäuse
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