Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
Junge, steh auf.»
«Ich brauche Yvette», sagte Gaspard. «Sie hilft mir.»
«Das kann ich mir denken.» Der Kardinal beugte sich über ein Tongefäß, das mit einer bräunlichen Masse gefüllt war. Der Gestank ließ ihn zurückweichen. Er wandte sich wieder Gaspard zu, der ihm gefolgt war und nun erneut kniete, ein Geschenk in den Händen.
«Für Euch, Eminenz», sagte Gaspard eifrig. «Ich habe es für Euch angefertigt.»
Der Kardinal nahm das Geschenk entgegen. Es war ein goldenes Kruzifix, kaum eine Handbreit hoch, und doch war jede Einzelheit des gekreuzigten Christus kunstvoll herausgearbeitet. Unter der Dornenkrone schauten einige Haarsträhnen hervor, die Dornen selbst waren so spitz, dass man sich daran stechen konnte, die Wunde in seiner Seite hatte gezackte Ränder, und das goldene Blut daraus rann über sein Lendentuch hinweg bis auf den schlanken Oberschenkel. Die Nagelköpfe standen sichtbar hervor, und der Kardinal zählte sie. Vier. Drei von den echten Nägeln hatte er in seinem Leben bereits gesehen. «Es ist sehr schön, Gaspard.»
«Ich würde noch besser arbeiten», sagte Gaspard, «wenn es mehr Licht gäbe.»
«Wir würden alle besser arbeiten, wenn es mehr Licht gäbe – das Licht der Wahrheit, das Licht Gottes, das Licht des Heiligen Geistes.» Der Kardinal ging an den Tischen entlang und strich mit der Hand über Gaspards Werkzeuge. «Doch der Teufel schickt uns Dunkelheit, um uns zu verwirren, und wir müssen uns nach Kräften bemühen, sie zu ertragen.»
«Aber weiter oben müsste es doch Räume mit mehr Licht geben?»
«In der Tat», sagte der Kardinal. «Doch woher weiß ich, dass du mir nicht entfliehst, Gaspard? Du bist ein kluger Mann. Wenn ich dir ein großes Fenster gebe, gebe ich dir damit vielleicht auch die Freiheit. Nein, mein guter Junge, wenn du so etwas fertigbringst» – er hielt das Kruzifix hoch –, «dann brauchst du nicht mehr Licht.» Er lächelte. «Du bist wirklich begabt.»
Das war Gaspard in der Tat. Er war Lehrling bei einem der Goldschmiede am Quai des Orfèvres auf der Ile de la Cité in Paris gewesen, wo der Kardinal seinen Wohnsitz hatte. Der Kardinal hatte von jeher eine Schwäche für die Goldschmiede. Er durchstöberte ihre Läden, förderte sie und erstand ihre besten Stücke, und viele davon waren von diesem jungen Lehrling angefertigt worden. Da er nicht nur begabt, sondern auch sehr auffahrend war, hatte er eines Nachts bei einer Prügelei in einer Schankstube einen anderen Lehrling erstochen und war zum Galgen verurteilt worden. Der Kardinal hatte ihn gerettet, in den Turm gebracht und ihm die Freiheit versprochen.
Doch erst musste Gaspard das Wunder vollbringen. Sobald er das getan hatte, war er ein freier Mann. So lautete das Versprechen, obwohl der Kardinal genau wusste, dass Gaspard diesen Keller nur verlassen würde, um den großen Ofen im Innenhof zu benutzen. Der ahnungslose junge Goldschmied stand bereits vor den Toren der Hölle. Der Kardinal bekreuzigte sich, dann legte er das Kruzifix auf einen der Tische. «Zeig ihn mir», befahl er Gaspard.
Gaspard trat an seinen Arbeitsplatz, auf dem ein in weißes Leinen gehülltes Objekt stand. «Es ist nur das Wachsmodell, Euer Eminenz», erklärte er und nahm das Leintuch ab, «und ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, es in Gold zu verwandeln.»
«Kann man es anfassen?», fragte der Kardinal.
«Vorsichtig», warnte Gaspard. «Es ist aus gereinigtem Bienenwachs und sehr empfindlich.»
Der Kardinal ergriff das grauweiße Wachsobjekt, das sich ölig anfühlte, und trat damit an eines der Fenster. Stumm vor Staunen stand er da.
Gaspard hatte einen Kelch aus Wachs geschaffen. Er hatte mehrere Wochen daran gearbeitet. Der Kelch selbst war gerade so groß, dass ein Apfel hineinpasste, und der Stiel maß nur sechs Zoll. Dieser Stiel war als Baumstamm gestaltet und lief unten in drei Wurzeln aus, die den Fuß bildeten. Die Krone des Baums verzweigte sich zu einem filigranen Geäst, das den Kelch umfasste und erstaunlich detailliert gearbeitet war, mit winzigen Blättern, Äpfeln und, oben am Rand, drei zierlichen Nägeln. «Er ist wunderschön», sagte der Kardinal.
«Die drei Wurzeln stehen für die Dreieinigkeit, Euer Eminenz», erklärte Gaspard.
«Das hatte ich vermutet.»
«Und der Baum ist der Baum des Lebens.»
«Daher die Äpfel», sagte der Kardinal.
«Und die Nägel deuten an, dass es der Baum ist, aus dem dereinst das Kreuz unseres Herrn gemacht wird», schloss
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