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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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geschenkt hatten.
    »Bestrafe dich nicht selbst«, hörte Liesel sie wieder sagen, aber die Strafe und der Schmerz würden kommen, und auch das Glück. So war das Schreiben.
    In der Nacht, als Mama und Papa schliefen, schlich sich Liesel hinunter in den Keller und machte die Kerosinlampe an. Eine Stunde lang betrachtete sie lediglich Papier und Bleistift. Sie wollte sich erinnern, und wie es ihre Gewohnheit war, schaute sie nicht weg.
    »Schreib«, befahl sie sich.
    Nach mehr als zwei Stunden hatte Liesel Meminger angefangen zu schreiben, ohne zu wissen, ob sie alles richtig machte. Woher sollte sie auch wissen, dass jemand ihre Geschichte aufheben und überallhin mitnehmen würde?
    Niemand erwartet so etwas.
    Niemand kann es planen.
    Sie benutzte einen kleinen Farbeimer als Hocker und einen großen als Tisch. Liesel senkte die Spitze des Bleistifts auf die erste Seite. Mitten auf das Papier schrieb sie die folgenden Worte.
    DIE BÜCHERDIEBIN
    Eine kurze Geschichte von
    Liesel Meminger
    flugzeugbäuche
    Auf der dritten Seite tat ihr die Hand weh.
    Worte sind so schwer, dachte sie, aber trotzdem schaffte sie im Laufe der Nacht elf Seiten.
    SEITE 1
    Ich versuche, es zu verdrängen, aber ich weiß, dass dies alles mit einem Zug anfing, mit dem Schnee und mit meinem hustenden Bruder. An diesem Tag stahl ich mein erstes Buch. Es war ein Handbuch für Totengräber, und ich stahl es auf meinem Weg in die Himmelstraße...
    Sie schlief da unten ein, auf einem Bett aus Lumpen, während sich das Papier des Buches, das auf dem größeren der beiden Farbeimer lag, leicht nach innen rollte. Am nächsten Morgen stand Mama über ihr, mit einer Frage in den desinfizierten Augen.
    »Liesel«, sagte sie, »was zum Kuckuck machst du hier unten?«
    »Ich schreibe, Mama.«
    »Jesus, Maria und Josef.« Rosa stapfte wieder die Stufen hinauf. »Du bist in fünf Minuten oben, oder du machst Bekanntschaft mit dem Wassereimer, verstanden?«
    »Verstanden.«
    Jede Nacht ging Liesel hinab in den Keller. Sie hatte das Buch stets bei sich. Stundenlang schrieb sie, mit dem Ziel, jede Nacht mindestens zehn Seiten mit ihrem Leben zu füllen. Es gab so vieles zu bedenken, so viele Dinge, die nicht weggelassen werden durften. Sei geduldig, sagte sie sich, und mit dem wachsenden Papierberg wuchs auch die Stärke ihrer Schreibhand.
    Manchmal schrieb sie darüber, was im Keller passierte, während sie schrieb. Sie hatte gerade über den Moment geschrieben, als Papa sie auf den Kirchenstufen geohrfeigt hatte, und wie sie an jenem Abend zusammen den Hitlergruß geübt hatten. Liesel schaute auf. Hans Hubermann packte eben das Akkordeon ein. Er hatte eine halbe Stunde lang gespielt, während Liesel geschrieben hatte.
    SEITE 42
    Papa hat mir heute Nacht Gesellschaft geleistet. Er hatte das Akkordeon dabei und saß ungefähr da, wo Max immer gesessen hat. Ich betrachte oft seine Finger und sein Gesicht, wenn er spielt. Das Akkordeon atmet. Auf Papas Wangen
    sind Falten. Sie sehen aus wie aufgemalt, und aus irgendeinem Grund möchte ich am liebsten weinen, wenn ich sie sehe. Nicht aus Trauer oder Stolz. Ich mag einfach die Art, wie sie sich bewegen und sich verändern. Manchmal denke ich, mein Papa ist ein Akkordeon. Wenn er mich anschaut und lächelt und atmet, dann höre ich die Musik.
    Nach zehn Nächten des Schreibens wurde München wieder bombardiert. Liesel war auf Seite 102 und schlief im Keller. Sie hörte weder den Kuckuck noch die Sirenen, und sie hielt das Buch im Schlaf fest, als Papa kam und sie weckte. »Liesel, komm.« Sie nahm Die Bücherdiebin und ihre anderen Bücher, und gemeinsam holten sie Frau Holzinger.
    SEITE 175
    Ein Buch trieb die Amper hinab. Ein Junge sprang ins Wasser, watete darauf zu und packte es mit der rechten Hand. Er grinste. Bis zur Hüfte stand er im eisigen Dezemberwasser. »Wie war's mit einem Kuss, Saumensch?«
    Beim nächsten Luftangriff am 2. Oktober war sie fertig. Nur ein paar Dutzend Seiten waren leer geblieben, und die Bücherdiebin hatte bereits angefangen, das Geschriebene noch einmal durchzulesen. Das Buch war in zehn Abschnitte unterteilt, die alle mit den Titeln von Büchern oder Geschichten überschrieben waren und erzählten, wie diese Bücher und Geschichten ihr Leben geprägt hatten.
    Oft frage ich mich, auf welcher Seite sie gerade war, als ich ein paar Nächte später im strömenden Regen durch die Himmelstraße ging. Ich frage mich, was sie gerade las, als die erste Bombe aus dem Bauch eines Flugzeuges

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