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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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April, am Geburtstag des Führers, als sie das Buch unter einem dampfenden Haufen Asche hervorzog, war Liesel ein Mädchen, das aus Dunkelheit erschaffen war.
    Es stellt sich die Frage nach dem Warum.
    Worüber war sie so wütend?
    Was war in den vorangegangenen vier oder fünf Monaten geschehen, dass sich solche Gefühle angestaut hatten?
    Kurz gesagt: Die Antwort wanderte von der Himmelstraße zum Führer, zu dem unbekannten Aufenthaltsort ihrer Mutter und wieder zurück.
    Wie so oft bei Leid und Elend fing alles mit vermeintlicher Freude an.
    glück gegen zigaretten
    Gegen Ende des Jahres 1939 hatte sich Liesel recht gut in Molching eingelebt. Sie wurde immer noch von Albträumen über ihren Bruder heimgesucht, und sie ve rmisste ihre Mutter, aber es gab jetzt auch Tröstliches in ihrem Leben.
    Sie liebte ihren Papa, Hans Hubermann, und sogar ihre Pflegemutter, trotz der Beschimpfungen und Flüche. Sie liebte und hasste ihren besten Freund Rudi Steiner, was völlig normal war. Und sie liebte die Tatsache, dass sie trotz ihrer Niederlage in der Schule mit dem Lesen und Schreiben vorankam und sie schon bald ein recht anständiges Niveau erreicht haben würde. All das führte zu einer Art Zufriedenheit und sollte sich in Kürze zu einem Gefühl von Glück steigern.
    DER WEG ZUM GLÜCK
    1 . Das Handbuch für Totengräber fertig lesen.
    2. Dem Zorn von Schwester Maria entrinnen.
    3. Zwei Bücher zu Weihnachten geschenkt bekommen.
    17. Dezember. Sie erinnerte sich genau an das Datum, weil es gerade noch eine Woche bis Weihnachten war.
    Wie üblich unterbrach der nächtliche Albtraum ihren Schlaf, und sie wurde von Hans Hubermann geweckt. Seine Hand hielt den schwitzigen Stoff ihres Schlafanzugs fest. »Der Zug?«, fragte er flüsternd.
    Liesel bekräftigte es. »Der Zug.«
    Sie schnappte nach Luft, bis sie bereit war, und sie fingen an, das elfte Kapitel aus dem Handbuch für Totengräber zu lesen. Kurz nach drei Uhr morgens waren sie damit fertig, und nun blieb nur noch das letzte Kapitel übrig: »Respekt vor dem Friedhof«. Papa, dessen silbrige Augen in seinem von Bartstoppeln übersäten Gesicht vor Müdigkeit geschwollen waren, klappte das Buch zu und erwartete, ein letztes bisschen Schlaf abzubekommen. Es wurde ihm verwehrt.
    Das Licht war erst seit ein paar Minuten ausgeschaltet, da sprach Liesel durch die Dunkelheit »Papa?«
    Er machte nur ein Geräusch, tief in seiner Kehle.
    »Bist du wach, Papa?«
    »Ja.«
    Sie stützte sich auf einen Ellbogen. »Können wir das Buch fertig lesen? Bitte!«
    Ein lang gezogener Atemzug kam, das Kratzen einer Hand auf Bartstoppeln, und dann Licht. Er öffnete das Buch und las: »Kapitel 12: Respekt vor dem Friedhof«.
    Sie lasen bis zum frühen Morgen, unterstrichen die Worte, die sie nicht verstanden, schrieben sie auf und blätterten die Seiten um, bis es dämmerte. Ein paar Mal wäre Papa fast eingeschlafen, hätte beinahe der verlockenden Müdigkeit in seinen Augen und dem Welken in seinem Kopf nachgegeben. Aber Liesel erwischte ihn jedes Mal dabei, wobei sie weder die Selbstlosigkeit bewies, die ihm erlaubt hätte einzuschlafen, noch die Frechheit, empört zu sein. Sie war ein Mädchen, das einen Berg besteigen wollte.
    Schließlich, als die Dunkelheit draußen aufzubrechen begann, kamen sie zum Ende. Der letzte Absatz lautete wie folgt:
    Wir von der Bayerischen Friedhofsvereinigung hoffen, dass wir Sie bezüglich der Arbeit, Sicherheitsmaßnahmen und Pflichten eines Totengräbers informieren und gleichzeitig unterhalten konnten. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Ausübung der hohen Kunst des Beerdigens und hoffen, dass Ihnen dieses Buch dabei eine Hilfe sein wird.
    Über dem jetzt geschlossenen Buch wechselten sie einen Seitenblick. Papa sprach. »Wir haben's geschafft, hm?«
    Liesel, halb in eine Decke gewickelt, betrachtete das schwarze Buch in ihrer Hand und seine silbernen Buchstaben. Sie nickte mit trockenem Mund und frühmorgendlichem Hunger. Es war ein Moment vollkommener Müdigkeit, weil nicht nur die Arbeit erledigt, sondern auch die Nacht besiegt worden war, die den Weg versperrt hatte.
    Papa streckte sich, mit geballten Fäusten und fest zusammengekniffenen Augen. Es war ein Morgen, der nicht wagte, mit Regen aufzuwarten. Sie standen beide auf und gingen in die Küche, und durch den Nebel und den Frost auf den Fensterscheiben sahen sie die rosafarbenen Lichtbalken auf den schneebedeckten Abhängen der Dächer über der Himmelstraße.
    »Schau dir diese

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