Die Bücherdiebin
Farben an«, sagte Papa.
Es ist nahezu unmöglich, einen Mann nicht zu mögen, der Farben nicht nur bemerkt, sondern sie auch anspricht.
Liesel hielt immer noch das Buch in der Hand. Sie packte es fester, als der Schnee orange wurde. Auf einem der Dächer sah sie einen kleinen Jungen sitzen und in den Himmel schauen. »Er hieß Werner«, sagte sie wie beiläufig. Die Worte trotteten aus ihr heraus, ungewollt.
Papa sagte: »Ja.«
In der Schule fanden keine weiteren Leseprüfungen mehr statt, aber Liesel gewann an Selbstvertrauen, und eines Morgens nahm sie vor dem Unterricht ein herrenloses Textbuch zur Hand, um herauszufinden, ob sie es würde meistern können. Sie konnte jedes einzelne Wort lesen, aber ihr Tempo blieb immer noch weit hinter dem ihrer Klassenkameraden zurück. Ihr wurde klar, dass es viel leichter war, auf etwas hinzuarbeiten, als es tatsächlich zu erreichen. Es würde noch eine ganze Weile dauern.
Eines Nachmittags war sie versucht, ein Buch aus dem Regal im Klassenzimmer zu stehlen, aber die Aussicht auf eine erneute Watschen von Schwester Maria war zu abschreckend. Darüber hinaus hatte sie eigentlich nicht wirklich das Verlangen, die Bücher zu stehlen, die in der Schule gelesen wurden. Wahrscheinlich war ihr Versagen im November daran schuld, obwohl Liesel das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Sie wusste nur, dass es so war.
In der Klasse sagte sie nichts.
Sie hielt ihr Mienenspiel unter Kontrolle.
Als der Winter kam, war nicht länger sie das Opfer, an dem Schwester Maria ihren Ärger ausließ. Sie durfte zusehen, wie andere hinaus auf den Gang gezerrt wurden, wo sie ihren gerechten Lohn in Empfang nahmen. Zu hören, wie ein anderer Schüler draußen gewatscht wurde, war nicht besonders angenehm, aber die Tatsache, dass es jemand anderes war, war - wenn auch kein wahrer Trost - so doch eine Erleichterung.
Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien gewährte Liesel sogar Schwester Maria ein »Frohes Fest«. Da die Hubermanns mehr oder weniger mittellos waren, immer noch Schulden abbezahlen mussten und die Miete immer schon längst überfällig war, wenn zufällig etwas Geld im Hause war, erwartete Liesel keine Geschenke. Lediglich vielleicht etwas Besseres zu essen. Zu ihrer Überraschung sah sie an Heiligabend, nachdem sie mit Mama, Papa, Hans junior und Trudi zur Mitternachtsmette in der Kirche gewesen war, etwas in Zeitungspapier eingepackt unter dem Weihnachtsbaum liegen.
»Vom Weihnachtsmann«, sagte Papa, aber das Mädchen ließ sich nicht beirren. Sie umarmte ihre Pflegeeltern, noch während ihr der Schnee auf den Schultern lag.
Sie riss das Papier auf und enthüllte zwei kleine Bücher. Das erste, Faust, der Hund, war von einem Mann namens Mattheus Ottelberg geschrieben. Sie sollte dieses Buch dreizehn Mal lesen. Schon am Weihnachtsabend las sie die ersten zwanzig Seiten - am Küchentisch, während Papa und Hans junior sich über etwas stritten, was sie nicht verstand. Etwas, das sie Politik nannten.
Später las sie im Bett weiter und fuhr dabei fort, die Worte, die sie nicht verstand, zu unterstreichen und niederzuschreiben. In Faust, der Hund gab es auch Bilder - herrliche Linien und Kurven und Ohren und Gesichter eines Schäferhundes mit einem geradezu obszönen Sabberproblem und der Fähigkeit zu sprechen.
Das zweite Buch hieß Der Leuchtturm und war von einer Frau geschrieben worden, von Ingrid Rippinstein. Dieses Buch war etwas länger, sodass Liesel nur neun Mal schaffte, es durchzulesen. Ihr Lesetempo hatte sich am Ende dieser beiden fruchtbaren Lektüreerfahrungen tatsächlich ein wenig beschleunigt.
Erst einige Tage nach Weihnachten stellte sie eine Frage, die die Bücher betraf. Sie saßen in der Küche beim Essen. Liesel betrachtete die Löffelvoll Erbsensuppe, die in Mamas Mund verschwanden, und beschloss, sich an Papa zu wenden. »Ich muss euch etwas fragen.«
Zunächst: keine Reaktion.
»Was?«
Das war Mama, mit vollem Mund.
»Ich wollte nur wissen, woher ihr das Geld hattet, um mir die Bücher zu kaufen.« Ein kurzes Grinsen flog in Papas Löffel. »Das willst du wirklich wissen?« »Klar.«
Papa fingerte den Rest seiner Tabakration aus der Tasche und fing an, eine Zigarette zu drehen, was Liesel ungeduldig machte.
»Sagt ihr's mir oder nicht?«
Papa lachte. »Aber ich sag's dir doch gerade, Kind.« Er vollendete die Herstellung einer einzigen Zigarette, schnippte sie auf den Tisch und begann eine zweite. »So.«
In diesem Augenblick beendete
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