Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
Vom Netzwerk:
Akzent.
    Ich wirble herum. Ist eine der Frauen mir gefolgt? Aber da ist niemand.
    Eine Mischung von Gerüchen liegt in der Luft– getrocknete Pferdeäpfel, Holzrauch, Rosen und Schweiß. So, als ob jemand hereingekommen wäre, der oft Feuer macht, auf einer Farm arbeitet, vielleicht einmal wöchentlich ein Bad nimmt und seinen Körpergeruch mit Parfüm überdeckt.
    » Warum Mr. Wickham?«, erkundige ich mich. Mr. Wickham ist der redegewandte junge Soldat, der den ruhigen Mr. Darcy bei Elizabeth Bennet schlechtredet. Allerdings entpuppt sich Mr. Wickham als Schurke. Ich kannte auch einmal einen Mr. Wickham, jemanden, dem ich vertraut habe. Dem ich vertrauen wollte.
    » Sie kennen die Geschichte besser, als Sie glauben.«
    Meine Gedanken überschlagen sich. Der Geruch wird stärker. Stoff rauscht– irgendwo in der Nähe raschelt ein Kleid. » Ich habe das Buch seit Jahren nicht mehr gelesen«, flüstere ich in den leeren Raum hinein.
    » Sie müssen lernen, Ihren Instinkten zu vertrauen.«
    » Warum?… Virginia, sind Sie das?« Ich stehe im Wäscheraum meiner Tante und führe Selbstgespräche. Wahrscheinlich ist mir das parfümierte Waschmittel zu Kopf gestiegen. Aber was ist mit den Pferdeäpfeln? Und dem Rauch?
    Ein leiser Seufzer. » Virginia ist unerträglich.«
    » Aufhören«, sage ich und presse die Hände auf die Schläfen.
    Die seltsamen Gerüche verschwinden, und nur ein zarter Zitronenduft bleibt zurück. Es herrscht eine Stimmung, als hätte jemand gerade den Raum verlassen.
    Ich atme tief durch. Mir dreht sich der Kopf.
    Auf dem Rückweg in den Salon muss ich mich an den Wänden abstützen. Als ich eintrete, starren mich alle an.
    » Sie sind ja ganz blass«, stellt Lucia fest. » Sie sollten sich hinsetzen.«
    » Fehlt Ihnen etwas? Fühlen Sie sich nicht wohl?«, murmeln die anderen Frauen.
    » Hier haben Sie meine Frage wegen des Buches«, verkünde ich. Meine Stimme klingt weit entfernt, als gehöre sie einer anderen. » Betrachten Sie Mr. Wickhams Funktion im Roman.«
    » Weiter«, fordert Lucia mich mit einem neugierigen Blick auf.
    » Und zwar im Hinblick auf die Geometrie des Begehrens. Warum fühlt Elizabeth sich von Mr. Wickham angezogen?« Wie komme ich bloß darauf?
    » Sie hält ihn für einen guten Menschen«, schlägt eine kleine, pummelige Frau vor. » Er verkörpert alles, was sie sich wünscht, und ist attraktiv und zugänglich. Außerdem ist er nicht hochmütig. Sie kann sich mit ihm unterhalten.«
    Wie Robert, mein Ex. Mich hat er damit auch reingelegt. » Welche Rolle spielt er im Zusammenhang mit ihrer Zuneigung zu Mr. Darcy? Was haben seine Affären zu bedeuten?«
    Schweigen entsteht. » Er symbolisiert ihre vorgefasste Meinung«, sagt Lucia. » Das, was man auf den ersten Blick sieht, verglichen mit dem, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Also geht es tatsächlich um erste Eindrücke.«
    » Genau«, erwidere ich.
    » Wie ist Ihnen denn diese Frage eingefallen?«, erkundigt sich Virginia mit giftigem Blick.
    » Keine Ahnung. Ich habe das Buch nicht einmal gelesen, zumindest nicht in letzter Zeit.« Der Knoten in meinem Nacken wird härter. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Das Haus knarzt, die Bodendielen ächzen, die Wände atmen Staub aus. Virginia schüttelt skeptisch den Kopf. Glaubt sie, ich hätte rasch eine Zusammenfassung von Stolz und Vorurteil zu Rate gezogen?
    » Ich hab’s ja gewusst.« Lucia schlägt auf den Tisch. » Ich hab’s gewusst, dass Jasmine sich etwas einfallen lässt.«
    Sicher wuchert hier giftiger schwarzer Schimmel, der dafür sorgt, dass ich Dinge höre und sehe, die gar nicht vorhanden sind. Ich habe eine Waschmittelallergie oder entwickle vielleicht sogar einen Gehirntumor. Soll das Haus heute Nacht ruhig wieder einen Tobsuchtsanfall kriegen, ich bleibe hier nicht nach dem Dunkelwerden!
    Nachdem ich den Literaturzirkel verabschiedet habe, laufe ich nach oben in die Wohnung, um meinen Koffer zu holen, und ziehe ihn polternd die Stufen hinunter.
    Der Wind frischt auf, und im Westen legt sich die Dämmerung wie eine graue Decke über den Himmel. Als ich die schwere Eingangstür öffnen will, fällt plötzlich ein Schatten in die Vorhalle. Ein vertrauter Bariton streicht über meine Haut. » Jasmine, warten Sie. Verlassen Sie uns etwa schon?«

Kapitel 18

    C
     
onnor, Sie haben mich fast zu Tode erschreckt.« Mein Koffer kippt um, der Griff entgleitet meinen Fingern. Hastig richte ich ihn wieder auf. » Was machen Sie denn hier?«
    » Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher