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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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Schnurrbart, dichte Augenbrauen, Geheimratsecken, spitze Ohren. Dazu ein spitzbübisches Grinsen. Kipling.
    Unmöglich. Meine Hände zittern so, dass ich beinahe das Telefon fallen lasse. Im nächsten Moment verschwindet das Gesicht, und das Display wird schwarz. Das Telefon vibriert in meiner Hand und scheint dunkler zu werden, bis die Farbe beinahe mit der meiner Haut verschmilzt. Sicher war das Bild eine vom Sonnenlicht ausgelöste optische Täuschung, die mir bis hierher gefolgt ist und sich nun über einen Bücherstapel senkt. Die Titel leuchten: Über die Schwelle. Herausforderungen annehmen. Die Wahrheit, wie ich sie sehe.
    Plötzlich fühle ich mich beengt. » Ich… brauche frische Luft. Ich mache mal kurz Pause.«
    » Jasmine, warte…«
    » Bin gleich zurück.« Rasch ziehe ich meinen Mantel an und haste in den kalten, trockenen Nachmittag hinaus. Ein Rotkehlchen landet auf dem funkelnden Gras und pickt nach einem unsichtbaren Wurm. Die Herbstluft streift mein Gesicht. Die übrig gebliebenen Blätter der Pappeln, die einfach nicht fallen wollen, reiben sich leise raschelnd aneinander.
    Hoch am Himmel zieht schnatternd ein Schwarm kanadischer Graugänse vorbei und steuert neuen Ufern entgegen. Ich haste den gepflasterten Gehweg entlang und versuche, das bedrückende Chaos des Buchladens abzuschütteln. Kiplings Bild ist entstanden wie ein Traum, stellt also nur eine Nachahmung der Wirklichkeit dar. Die Insel, so windig, felsig, moosbewachsen, unwirtlich und unnachgiebig sie auch sein mag, ist die Realität.
    Fünf Häuserblocks nach Norden, zwei nach Westen, und das Display meines Telefons zeigt endlich blasse symmetrisch angeordnete grüne Balken an. Erleichterung. Ich habe wieder Verbindung zur Normalität. Ich höre meine Mailbox ab und rufe drei Kunden zurück, die Fragen zu den neuesten Entwicklungen ihrer Geldanlagen stellen. Obwohl ich froh bin, ihre Stimmen im Ohr zu haben, scheint ihr gehetzter und besorgter Tonfall in eine andere Welt zu gehören.
    Scott Taylor, mein Chef, hat mir eine Nachricht hinterlassen: Wir haben Ihre Präsentation auf den Tag nach Ihrer Rückkehr vorverlegt. Der Kunde will endlich Resultate sehen. Ich bin nächste Woche in Seattle und komme Sie besuchen. Wir müssen die Strategie besprechen. Wo zum Teufel sind eigentlich diese Inseln? Okay, ich schaue gerade auf die Karte. Herrje, Sie sind ja in der Wildnis gelandet. Ich muss sogar mit dem Schiff fahren.
    Die nächste Nachricht wird von statischem Knistern verzerrt und stammt von Robert. Wohnung … reden … Anruf … Nachrichten … Schwungvoll drücke ich auf Löschen und kehre zurück zum Buchladen. Der Wind hat sich gelegt. Am Ufer kreischen die Möwen. Die Ebbe gibt Geheimnisse und den muffigen Geruch nach Seetang frei. Mein Schuh rutscht an einer moosigen Fläche ab, sodass ich fast auf den Gehweg stürze. Ist Captain Vancouver auch auf Moos ausgerutscht, als er zum ersten Mal den Fuß auf diese Inseln setzte? Das Moos ist überall. Heimtückisch wächst es aus Ritzen und an Mauern und bedeckt in dünnen Schichten die Dächer. In meiner Kindheit habe ich es immer als einen Teil von mir empfunden– wie einen nachgiebigen Eingang zu Parallelwelten.
    Inzwischen gefährdet es meine geistige Gesundheit.
    In der Vorhalle des Buchladens zieht Tony gerade den Reißverschluss seines Regenmantels zu und klappt den Kragen hoch wie Sam Spade. » Ich dachte schon, ein Werwolf hätte dich gefressen. Oder ein Seeungeheuer sei aus den Tiefen emporgestiegen, um dich zu verschleppen.«
    » Es sind noch viel merkwürdigere Dinge geschehen«, erwidere ich mit einem Schauder.
    » Ja, zum Beispiel das Treffen des Literaturzirkels. Die Mitglieder kaufen tatsächlich Bücher. Ich wünschte, ich könnte bei der heutigen Sitzung dabei sein, aber ich verpasse sonst meine Fähre. Stolz und Vorurteil erwarten dich, meine Liebe.«
    Ich schlage die Hand vor die Stirn. » Warum vergeudet meine Tante ihre Zeit mit Literaturzirkeln? Können die sich nicht allein treffen? Ich muss neue Titel bestellen und weiter aufräumen. Außerdem sollte ich mir mal die Rechnungen auf ihrem Schreibtisch anschauen…«
    » Darum habe ich mich schon gekümmert. Bis morgen.«
    » Kannst du nicht bleiben?« In meinem Nacken bauen sich Kopfschmerzen auf.
    » Deine Mom hat dein Gepäck gebracht. Also ist alles bereit. Du schaffst das schon.« Er streicht sich mit den Handflächen das Haar glatt. Und dann ist er fort. Meine Tante hatte recht. Ständig verschwinden hier

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