Die Buecherfluesterin
tollen Abenteuerurlaub ganz weit weg auf einer wunderschönen Insel machst und dass du vielleicht sogar wieder verliebt bist.«
Mein Herz rast. » Danke Carol. Du hast ihm also nicht verraten, wo ich bin?«
» Er wollte mich nach Einzelheiten aushorchen, als ob ihn das noch etwas anginge. Die Schlampe war gar nicht glücklich darüber. Sie ist unruhig herumgerutscht und hat plötzlich nicht mehr gelächelt. Ich habe nichts herausgerückt, aber er hatte diesen eifersüchtigen Gesichtsausdruck. Der hat vielleicht Nerven. Schließlich hat er dich nach Strich und Faden betrogen und sitzt jetzt schon mit derNächsten da. Wahrscheinlich hätte er sich am liebsten einen Harem gehalten. Vielleicht solltest du gar nicht mehr zurückkommen. Soll der Typ sich doch weiter fragen, wo du steckst. Geschieht ihm ganz recht.«
Die Verbindung bricht ab. Carols Stimme verschwindet in der Nacht. » Geschieht ihm ganz recht«, wiederhole ich. Mein verletztes Herz, das gerade zu heilen angefangen hatte, zerspringt in tausend Scherben.
Plötzlich möchte ich dem Buchladen meiner Tante gar nicht mehr den Rücken kehren. Warum nicht hierbleiben, wo Robert mich trotz aller Bemühungen nicht erreichen kann? Ich schalte das Telefon ab, schließe die Tür wieder auf und trete in die Dunkelheit.
Kapitel 19
I
ch fasse es nicht, dass ich wirklich im durchgelegenen Bett meiner Tante in ihrer Mansardenwohnung liege, während auf der Insel ein mitternächtlicher Sturm tobt. Das Haus erbebt und ächzt. Regen prasselt zornig und so laut wie die Triebwerke eines Flugzeugs aufs Dach. Das dreieckige Fenster hoch an der Wand unter der schrägen Decke zittert und wackelt und droht zu zerbrechen. Die Nachttischlampe, Buntglas mit Schmetterlingsmuster, flackert.
Ich sinke zurück in die Kissen. Kein Fernseher, kein Mobilfunkempfang. Nichts als Bücherstapel auf dem Nachttisch. Eine Kurzgeschichtensammlung von Edgar Allan Poe ist auch dabei. Es ist keine gute Idee, Schauergeschichten über wieder auferstandene Leichen zu lesen, während man versucht, in einem Spukhaus zu überleben.
Ich werde das Bild nicht los, wie Robert mit Lauren im Andante sitzt. Womit habe ich seine Untreue verdient? War es von Anfang an in ihm angelegt? Er hat behauptet, er habe sich rein zufällig verliebt. Ich kannte sie nur vom Sehen als eine von Roberts Kolleginnen an der Universität und konnte keine Anzeichen dafür entdecken, dass etwas zwischen ihnen lief– und dennoch… vielleicht schlief sie bereits mit ihm, als ich ihr bei einem Essen im Kollegenkreis vorgestellt wurde?
Wie immer von Schlafstörungen geplagt, stehe ich auf und schaue mich in den Regalen im winzigen Wohnzimmer meiner Tante um. Zugluft weht durch ein offenes Fenster herein und schlägt die Seiten eines Buches auf, das auf dem Fensterbrett liegt. Pu der Bär. Innen im Einband stehen die folgenden Worte in schwarzer Tinte:
Jasmine, keine Angst vor dem Neuanfang … A. A. Milne
Die Handschrift neigt sich nach links. Einige kleine Tintenkleckse verunstalten die Seite. Sicher hat meine Tante das geschrieben. A.A. Milne kann es nicht gewesen sein. Er ist schon seit Jahren tot und hat nur seine Bücher, seine Romanfiguren und seine Phantasien hinterlassen.
Offenbar will meine Tante mir einen Streich spielen. Sie hat sich erinnert, dass Pu der Bär vor vielen Jahren eine meiner Lieblingsfiguren war. Nein, das war Eeyore, der solche Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hat, dass er immer mit eoR unterschreibt. In welchem Buch hat er eine Nachricht für Christopher Robin mit Bäschlus betitelt?
Ich koche mir einen Kamillentee und setze die Lesebrille auf. Dann lege ich mich wieder ins Bett und öffne das Buch, das wie frisch aus der Druckerpresse riecht. Ich blättere darin herum, halte mir das Buch an die Nase und schnuppere daran. Ich bin wieder ein Kind und blättere in den nagelneuen Büchern, die mir meine Tante mitgebracht hat. Pu der Bär, The Chronicles of Narnia und Dr. Seuss : The Cat in the Hat, Green Eggs and Ham. Vor langer Zeit habe ich die Geschichten wieder und wieder gelesen. Ich hatte keine Sorgen. Mir war noch nicht das Herz gebrochen worden.
Eines Tages, als Pu der Bär nichts Besseres zu tun hatte, überlegte er sich, das kleine Schweinchen zu besuchen und nachzusehen, was es so machte …
Plötzlich gehen die Lichter aus.
» Spitze!« Ich lasse das Buch aufs Bett fallen. Das Nachtlicht in der Steckdose leuchtet noch, vielleicht hat es ja eine Batterie. Die Wände zittern, und
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