Die Buecherfluesterin
ein Besen fällt klappernd zu Boden. Ich springe fast aus meinem Nachthemd. Mein Herz klopft.
» Alles in Ordnung«, sage ich mir. » Nur ein Stromausfall wegen des Sturms.«
Was mache ich eigentlich hier?
Robert eine lange Nase drehen.
Ich nehme die Taschenlampe von der Kommode und schleiche mich die staubige Dienstbotentreppe hinunter.
Im Flur im ersten Stock hat sich ein dreieckiges Stück der weißen Tapete gelöst und gibt das alte Blumenmuster dahinter frei. Die Rosenblätter schimmern metallisch in Rot und Blau.
» Sicherungskasten, Erdgeschoss.« Ich gehe den Flur entlang zur breiten Haupttreppe, die vom ersten Stock in die Eingangshalle im Parterre mit Blick aufs Wasser führt. Auf der zweiten Stufe angekommen, höre ich plötzlich leise Stimmen. Ich erstarre. Mir werden die Knie weich. Es muss der Wind in den Bäumen sein.
Der Lichtstrahl der Taschenlampe gleitet über das Buntglas. Nur noch ein paar Stufen nach unten, durch die Halle und vorbei am Salon, der Bibliothek und dem Esszimmer. Das schaffe ich. Als ich mich der untersten Stufe nähere, erhebt sich wieder die Stimme. Nein, es ist nur das Heulen des Windes.
Ich spähe durch das Fenster aus rotem Glas in der Eingangstür. Die Umrisse eines gewaltigen Ahornbaumes schwanken vor dem vom Mond beschienenen Ozean. Auf der Veranda und der Treppe, die den mit Gras bewachsenen Abhang hinunterführt, ist niemand. Alles nur Einbildung. Also zurück durch die Vorhalle.
Zweige scharren an den Fenstern. Irgendwo draußen knallt ein Tor gegen eine Wand. Ich pirsche mich ins Hinterzimmer. Das Telefon ist mit der Steckdose verbunden und funktioniert ohne Strom nicht.
Ich öffne den Sicherungskasten. Die Sicherungen sind alle an Ort und Stelle. Sie sind zwar staubig, aber keine einzige ist herausgesprungen. Offenbar hat die ganze Straße keinen Strom. Spitze. Ich höre noch immer gedämpfte Geräusche und folge ihnen wieder durch die Vorhalle. Vor der Tür zum Salon bleibe ich stehen. Fahles Licht schimmert unter der Tür hindurch. Ich hole tief Luft und mache mich auf das Schlimmste gefasst. Auf geht’s!
Ich reiße die Tür auf und stürme ins Zimmer. Jemand, eine Frau, steht da im dämmrigen Mondlicht– hohe Stirn, gerötete Wangen, blaues Kleid. Sie ist eine beeindruckende hochgewachsene Erscheinung. In einem Raum voller Menschen würde sie als außergewöhnlich schön auffallen. Sie ist von einem zarten Leuchten umgeben. Ich bekomme eine Gänsehaut. Offenbar habe ich wirklich Halluzinationen. Oder ich schlafwandle. Oder ich habe das Bett nie verlassen. Meine Zunge ist auf einmal zu groß für meinen Mund.
Endlich finde ich die Sprache wieder. » Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Der Laden ist geschlossen.«
Sie antwortet nicht.
» Sie sollten nicht hier sein«, fahre ich fort. » Sind Sie schon den ganzen Abend da? Auch, als ich den Laden abgeschlossen habe? Gehören Sie zum Literaturzirkel?«
Plötzlich gehen mit einem Knall die Lichter an. Der Strom ist wieder da. Die Frau ist fort. Gerade noch stand sie vor mir, jetzt bin ich allein. Ich suche sämtliche Gänge ab. Das Fenster ist verriegelt, die Tür befindet sich hinter mir. Anscheinend hat sich meine blühende Phantasie die Frau nur eingebildet.
Auf dem Tisch liegt ein gebundenes Buch. Wie habe ich das vorhin übersehen können? Ich greife nach den dicken Memoiren mit dem zerschlissenen Einband und den im Laufe vieler Jahre abgegriffenen Seiten. Mein Leben in Afrika, Erinnerungen von Dr. Connor Hunt.
Connor Hunt.
Ich schlage das Buch auf. Die erste Auflage ist im Jahr 1975 erschienen, als der Autor sechsunddreißig Jahre alt war. Beim Anblick des Fotos auf der Rückseite bleibt mir beinahe das Herz stehen. Die Frisur ist ein wenig anders, und er trägt Rollkragenpullover und Schlaghose. Doch ansonsten sieht der Mann dem Connor, den ich kenne, bemerkenswert ähnlich. Nur dass der Connor Hunt, der das Buch geschrieben hat, inzwischen über siebzig sein muss.
Kapitel 20
I
ch rufe Tony auf dem Festnetztelefon meiner Tante an. Es ist kurz nach zwei. » Ich haue morgen früh hier ab.«
» Jasmine, bist du das?« Tonys Stimme ist schlaftrunken. » Wo hast du meine Nummer her?«
» Die liegt hier im Büro. Ich verliere den Verstand. Ich muss unbedingt meine Tante erreichen.« In Nachthemd und Pantoffeln laufe ich auf und ab. Es ist taghell, alle Glühbirnen brennen. Vermutlich fließt der gesamte elektrische Strom in der Stadt in dieses Haus. Ich habe die Memoiren in der Hand.
» Du bist
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