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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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Tiffanylampen und die windschiefen Bücherregale, die meine Tante mit gebrauchten Büchern, Zeitschriften und alten Brettspielen vollgestapelt hat. Nach und nach treffen einige andere Frauen in den verschiedensten Kleidungsstilen, -formen und -größen ein. Bald herrscht lebhaftes Stimmengewirr im Raum.
    » Jasmine, geben Sie uns jetzt bitte die weise literarische Einführung einer Buchhändlerin?«, fragt Lucia, nachdem sie alle zum Schweigen gebracht hat.
    » Ich bin nicht sehr bewandert«, antworte ich mit einem Kopfschütteln.
    » Wirklich?« Virginia stellt ihre Tasse mit Untertasse auf den Tisch und rührt einen Löffel Sahne in ihren Tee. An ihrem Handgelenk funkelt ein schweres Silberarmband. » Warum um alles in der Welt hat Ihre Tante sich dann die Mühe gemacht, Sie hierherzuholen?«
    Ich erstarre. Lucia schnalzt mit der Zunge. » Oh, Ginnie, du weißt doch, dass es nur vorübergehend ist. Ruma kommt doch zurück.«
    » Aber warum sie? Warum gerade Jasmine?«
    » Warum nicht?«, entgegnet Lucia.
    In mir dreht sich ein Schlüssel. Eine Tür öffnet sich einen Spaltweit. » Ich kann meiner Tante helfen, den Laden in Ordnung zu bringen.«
    » Schön, dann wollen wir mal sehen, was Sie draufhaben.« Virginia wirft mir einen finsteren Blick zu.
    Lucia fördert ihre eselsohrige Ausgabe von Stolz und Vorurteil zutage. » Das Buch hieß ursprünglich Erste Eindrücke. Das habe ich herausgefunden.«
    Virginia schlürft ihren Tee. » Ein alberner Titel für ein Buch.« Eine geheimnisvolle Brise zaust ihr Haar, sodass einige Strähnen wie elektrisiert senkrecht abstehen.
    Lucia lässt sich nicht beirren. » Was noch wichtiger ist: Es handelt davon, wie irreführend der erste Eindruck sein kann.«
    Die Brise legt sich.
    » Ich habe gehört, dass Autoren sich viele Titel für ihre Bücher überlegen, bevor sie sich für einen entscheiden«, wendet eine andere Frau ein.
    Virginia schlürft weiter Tee. » Beide Titel sind albern.« Das Silberarmband rutscht ihr vom Handgelenk und landet auf dem Parkett. » Der Verschluss ist abgebrochen!« Sie tastet den Boden ab. » Wo zum Teufel ist er?«
    » Ich helfe Ihnen.« Ich krieche auf allen vieren herum. Das Armband hat eine beachtliche Strecke von ihrem Sitzplatz aus zurückgelegt. » Hier ist es.«
    » Danke.« Als sie wieder gerade sitzt, stehen schon wieder ein paar Haarsträhnen von ihrem Kopf ab. Ich muss ein Grinsen unterdrücken.
    Lucia zieht ein Notizbuch aus der Tasche, leckt sich über den Daumen und schlägt die erste Seite auf. » Ist Jane Austen dem Realismus zuzuordnen? Charlotte Brontë hat ihre Arbeiten als › ordentlich eingezäunten, gut gepflegten Garten‹ bezeichnet. Ralph Waldo Emerson nannte ihre Beschreibungen des Lebens unlebendig und beschränkt.«
    Im Flur knarzt etwas. Wir blicken alle in diese Richtung.
    » Mark Twain fand, dass Bibliotheken ihre Bücher nicht führen sollten«, fährt Lucia fort. » Doch ich sage, dass man auf die Worte neidischer Kollegen nichts geben darf. Sie hat ein Meisterwerk geschrieben. Ich liebe dieses Buch und lese es immer wieder, da es mich hoffen lässt, dass wir jedes Hindernis überwinden können.«
    Sie liest es immer wieder?
    Virginia verstaut das kaputte Armband in ihrer Handtasche. » Ich kann mit langen Dialogen ohne beschreibende Passagen wenig anfangen.« Sie stößt mit dem Arm gegen ihre Teetasse, die umkippt, sodass sich der Tee über den Tisch ergießt.
    Ich springe auf, schnappe mir ein paar Servietten und wische an der Pfütze herum. » Ich hole Handtücher. Machen Sie ruhig weiter.«
    Lucia lacht auf. » Das Haus ist böse auf dich, Ginnie.«
    Alle sehen mich an. Mein Herz setzt einen Schlag aus, doch ich lächle.
    » Also, Jasmine«, sagt Virginia und bedenkt mich mit einem finsteren Blick. » Sie müssen uns jetzt die Schlüsselfrage stellen.«
    » Die Schlüsselfrage?«, wiederhole ich verdattert.
    » Sie haben das Buch doch gelesen, oder?« Virginia starrt mich an. » Ihre Tante stellt immer eine wichtige Frage zu dem Buch. Aber wenn Sie es nicht gelesen haben…«
    » Natürlich habe ich es gelesen.« Vor langer Zeit. Ich halte die durchweichten Handtücher hoch. » Ich bringe sie rasch in die Wäsche.«
    Ich flüchte mich in den Wäscheraum und atme tief durch. Was für eine Frage meint sie nur? Es ist schon so lange her.
    Die Stimmen wehen den Flur entlang.
    » Denken Sie an Mr. Wickham«, verkündet da eine Frau hinter mir. Sie hat eine melodische Stimme und einen leichten englischen

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