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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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Rührung ganz belegt.
    » Manchmal kann ich einfach nicht mehr.« Olivia schlägt die Hand vor die Brust. Eine Träne bleibt an ihrer Wimper hängen und funkelt im Licht. » Wenn ich daran denke, dass mein süßer kleiner kuscheliger Junge für immer fort ist, fühle ich mich, als hätte mir jemand einen Felsen aufs Herz fallen lassen. Aber niemand versteht mich– nur, weil er kein Mensch war.«
    » Das tut mir sehr leid. Sie werden ihn immer vermissen, doch das Leben geht weiter.« Ich möchte ihr erzählen, dass ich weiß, was Verlust bedeutet. Der Tod unserer Träume, des gemeinsamen Alltags, des Trostes.
    » Danke«, erwidert sie. » Hoffentlich haben Sie recht.«
    Die Regale ziehen meinen Blick an. In einem Sonnenstrahl leuchtet ein Buch auf, genauso wie das Mango-Buch bei Professor Averys Besuch. Nur dass ich damals nicht auf das Licht geachtet habe.
    Ich ziehe das Buch heraus. Es ist ein zerfleddertes Hardcover, auf dem eine Katze mit gezackten Ohren abgebildet ist. Ich reiche es ihr.
    » Fell - Persönlichkeiten von May Sarton«, liest sie leise. » Mein Taz war auch eine Fell-Persönlichkeit. In seinen Augen habe ich die Seele eines kleinen alten Mannes gesehen.« Sie studiert die erste Seite. » Die Katze hat vor vielen Jahren bei ihr gelebt. Inzwischen sind sie beide tot.«
    » Aber er hat einmal gelebt und seine Erfahrungen in der Welt gemacht«, antworte ich. » Und dank der Worte dieser Frau ist er jetzt unsterblich.«
    » Ich wünschte, Taz hätte ewig leben können. Seine Spielgefährtin Molly vermisst ihn auch. Sie ist gescheckt.« Olivia verstummt kurz. » Haben Sie Tiere?« Sie mustert mich prüfend, als würde ihr meine Antwort einen Hinweis auf meine Seele geben.
    » Nun… äh… ich bin zurzeit ziemlich beschäftigt.« Ich spüre einen seltsamen Stich in der Brust, eine Sehnsucht nach einem Seelengefährten wie Taz. » Ich hatte einmal eine Katze. Willow. Sie wurde siebzehn Jahre alt. Ich hätte gern wieder eine Katze gehabt, aber dann bin ich weggezogen, um ans College zu gehen, und später… Mein Ex war allergisch.«
    » Und deshalb ist er jetzt Ihr Ex.«
    » Genau.« Bis jetzt habe ich nur darüber nachgegrübelt, was ich an Robert vermisse, und nicht daran gedacht, wie er mein Leben eingeschränkt hat.
    Olivia fällt mir um den Hals. » Danke, dass Sie mir geholfen haben, dieses Buch zu finden.«
    » Es… stand einfach da.«
    » Nein, Sie haben geholfen.« Sie tritt einen Schritt zurück und drückt das Buch vor die Brust. » Es ist schön zu wissen, dass jemand seine Katze genug geliebt hat, um ein Buch über sie zu schreiben. In diesen Buchladen gehört eine Katze, meinen Sie nicht? In jedem Buchladen sollte eine Katze leben.«
    » Das muss meine Tante entscheiden.«
    Olivia gibt mir ihre Visitenkarte. » Hier arbeite ich. Sie können jederzeit vorbeischauen. Ihre Tante wäre sicher begeistert von einer Katze.«
    Miau-City. Schutzraum für Katzen. Bei uns wird kein Tier eingeschläfert. Fairport, Washington, steht auf der Karte. Ich stecke sie in die Gesäßtasche meiner Jeans. » Danke, ich werde es mir überlegen.«
    Als sie den Laden verlässt, dreht sie sich noch einmal um. » Überlegen Sie nicht zu lang.«

Kapitel 30

    I
ch blicke Olivia nach, die, lesend, den Kopf gesenkt, die Straße entlanggeht und um die Ecke verschwindet.
    » Wie heißt das Buch noch mal?«, fragt ein halbwüchsiges Mädchen seine Freundin, als die beiden im Flur an mir vorbeimarschieren.
    » Ich habe die Lektüreliste für die dämliche Hausarbeit vergessen«, erwidert das andere Mädchen. Sie sind beide schwarz gekleidet und haben die Augen so dick umrandet, dass sie wie tot aussehen. » Es handelt von so einem Opa, der einen großen Fisch fangen will. Zum Gähnen. Und dann murkst er ihn ab, obwohl er ihn vorher seinen Bruder nennt. Wer bringt denn seinen Bruder um? Absolut bescheuert.«
    » Ja, echt voll krass«, bestätigt das andere Mädchen.
    Ich räuspere mich. » Äh, ich wette, ihr sucht Der alte Mann und das Meer von Ernest Hemingway.« Wie kommt es eigentlich, dass ich mich an eine Einzelheit wie diese erinnere? Offenbar habe ich das Buch in der Highschool gelesen.
    Die Mädchen starren mich an, als hätte ich einen großen Pickel auf der Nase, kaufen jedoch zwei Exemplare des antiquarischen Taschenbuchs, bevor sie wieder gehen. Jetzt müssen sie das Buch lesen. Keine Ausreden mehr.
    Es ist mir gelungen, den Großteil der Fenster zu öffnen, einige Gänge frei zu räumen, Tische und Regale

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