Die Buecherfluesterin
an. » Ich muss heute weg. Kannst du herkommen und die Stellung halten?«
» Ist Connor da?«
Ich nicke. » Er steht in der Vorhalle«, flüstere ich.
» Dann los, Mädchen. Aber schließ den Laden ab.«
Ich hänge auf und laufe zur Eingangstür. Connor nimmt meine Hand. » Warte, das Buch.«
Ich hole es und überreiche es ihm. Als er es an die Brust drückt, scheinen die Kanten zu leuchten. Die Tür öffnet sich, und wir treten in den sonnigen Morgen hinaus.
Die Bohlen der Veranda knarzen unter meinen Füßen. Weiches grünes Moos klebt in Klumpen am Geländer. Der Himmel erstreckt sich in kräftigem Blau, blank gefegt vom nächtlichen Regen. Eine sanfte, kühle Brise, die nach Salzwasser und Seetang riecht, streicht mir über die Haut. Um uns herum erklingen morgendliche Geräusche– ein aufheulender Motor, eine Symphonie aus Vogelgesang und das Rauschen des Meeres. Von den sonnenerwärmten Dächern und Zäunen steigt Dampf auf.
Connor macht einen Schritt vorwärts und atmet tief durch. Das Buch hat er noch immer vor die Brust gedrückt. » Ich liebe die frische Luft«, sagt er mit seiner dunklen, sonoren Stimme. Seine Augen sind von einem so intensiven Aquamarin, dass es fast unnatürlich wirkt.
Mein Herz ist von reiner Glückseligkeit erfüllt.
Er legt das Buch auf eine Ablage, starrt auf seine Hände und dreht sie hin und her, als sähe er sie zum ersten Mal im Sonnenlicht. Dann nimmt er mich lachend in die Arme. » Ich bin hier mit dir an einem so schönen Morgen in der frischen Luft!«
» Ja, und es freut mich, dass du so glücklich bist.«
» Du siehst so wunderschön in diesem Licht aus«, murmelt er und berührt mein Haar.
» Du auch. Das heißt, du bist sehr anziehend.« Ich zittere, aber es ist nicht die Kälte.
» Ich will diese Augenblicke mit dir ganz auskosten. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Sein gewelltes Haar glänzt. Hellere, von der Sonne ausgebleichte Strähnen mischen sich unter das Braun. Außerdem wirkt er jetzt größer, breiter und raumgreifender als im Buchladen.
» Wir können mit der Fähre in die Stadt fahren. Oder einfach hierbleiben.«
» Wie du möchtest. Ich will nur bei dir sein.«
» Dann auf zum Strand«, antworte ich. » Komm.«
Er folgt mir auf den Fersen, während ich in meinen Turnschuhen voranlaufe.
Als er mich eingeholt hat, greift er nach meiner Hand. Seine kräftigen, warmen Finger lösen Herzklopfen bei mir aus. Ich kann seinen Atem hören. » Ich spüre das Blut in deinen Adern«, sagt er und drückt meine Hand. Dann legt er lachend den Kopf in den Nacken. » Bei dir fühle ich mich lebendig, Jasmine Mistry.«
Ich bin selig. An der Hand führe ich ihn zum Fairport Beach, vorbei an sonntäglichen Joggern und Spaziergängern und an Ladenbesitzern, die gerade ihre Läden öffnen.
Nachdem wir am Strand angekommen sind, laufen wir über den Sand zum Wasser hin, weg von den Gebäuden in der Harborside Road. Dort treffen wir auf ein paar Leute und einen Golden Retriever, der sich immer wieder in die Brandung stürzt.
Lachend weichen wir den Wellen aus. Ich lasse Connors Hand los, hüpfe im Kreis herum und werfe mich in den Sand. Er setzt sich neben mich, nimmt eine Hand voll Sand und sieht zu, wie er durch seine Finger rinnt.
» Ich will dich noch einmal küssen«, sagt er.
» Ja, küss mich«, flüstere ich. Diesmal gebe ich mich ihm hin. Der Kuss dauert eine Minute, eine Stunde, eine Ewigkeit. Die Zeit bleibt stehen, die Möwen erstarren in der Luft, der Ozean hält den Atem an, und ich sinke in Connors Arme. Nach einer Weile nehmen wir wieder Abstand und blicken einander in die Augen.
» Ich finde es wundervoll, dich zu küssen«, sagt Connor, die Hand an meinem Kinn. » Ich wollte dich schon küssen, als ich dir klatschnassen Städterin zum ersten Mal im Buchladen begegnet bin.«
Ich lache. » Und sehe ich jetzt noch immer aus wie eine klatschnasse Städterin?«
» Du bist schön.« Er zieht mich zu sich heran und küsst mich wieder. Dann stehen wir auf und laufen dahin, wo die Küste schroff und felsig wird. Er nimmt meine Hand und zieht mich hinauf auf einen flachen Felsen. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Noch nie habe ich mich so hellwach gefühlt.
» Woher kannst du so gut klettern?«, frage ich. » Du bist wie eine Bergziege.«
» Während meiner ganzen Kindheit bin ich schon auf diesen Felsen herumgeklettert«, erwidert er. » Und du?«
» Ich bin auf der anderen Seite der Insel aufgewachsen«, antworte ich. » In der Nähe des
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