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Die Büchse der Pandora

Die Büchse der Pandora

Titel: Die Büchse der Pandora
Autoren: Agatha Christie
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halten, wenn…« Sie unterbrach sich. Plötzlich sprang sie auf. »Nenn mich unverschämt, wenn du willst, aber ich sehe jetzt nebenan nach.«
    »Aber Tuppence, du kannst doch nicht…«
    »Ich habe das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Ich spüre es. Versuche nicht, mich zurückzuhalten.«
    Schnell verließ sie ihr Separee, und Tommy folgte ihr. Die Tür der Nebenkabine war geschlossen. Tuppence stieß sie auf und trat ein, Tommy folgte ihr auf den Fersen.
    Das als Cœur-Dame kostümierte Mädchen saß in einer Ecke, in merkwürdiger nachlässiger Haltung gegen die Wand gelehnt. Ihre Augen starrten die Eindringlinge durch die Maske an, aber sie bewegte sich nicht. Ihr Gewand war eine kühne Komposition aus Rot und Weiß, aber auf der linken Seite war das Muster etwas durcheinandergeraten, da zeigten sich mehr rote Flecken, als nötig…
    Mit einem Aufschrei stürzte Tuppence vorwärts. Im selben Augenblick sah Tommy, was sie entdeckt hatte: den mit Juwelen verzierten Griff eines Dolches, gerade unter dem Herzen des Mädchens. Tuppence kniete neben ihr nieder.
    »Schnell, Tommy, sie lebt noch! Ruf den Wirt, er soll sofort einen Arzt herbeischaffen!«
    »Gut. Aber, Tuppence, rühr den Dolch nicht an, hörst du!«
    »Nein, ich bin vorsichtig. Geh, schnell!«
    Tommy eilte hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Tuppence legte ihren Arm um die Schultern des Mädchens. Das machte eine schwache Bewegung, und Tuppence verstand, dass es seine Maske loswerden wollte. Tuppence hob sie vorsichtig ab und sah ein Gesicht, frisch wie eine Blume, und weit aufgerissene, starre Augen voll Schrecken, Schmerz und Bestürzung.
    Ganz sanft fragte Tuppence: »Können Sie sprechen? Wollen Sie mir sagen, wer das getan hat?«
    Der Blick der jungen Frau schien sich an Tuppences Gesicht festzuklammern. Sie stöhnte – das tiefe, zitternde Stöhnen eines versagenden Herzens. Dann öffneten sich ihre Lippen.
    »Bingo war es – «, stieß sie mit letzter Kraft hervor. Dann wurden ihre Hände schlaff, und sie schien auf Tuppences Schulter zusammenzusinken.
    Tommy kam zurück, zwei Männer begleiteten ihn. Der größere der beiden trat mit sicherem Schritt ein, das Wort Arzt schien mit Großbuchstaben auf seiner Stirn geschrieben. Tuppence ließ ihre Last sinken.
    »Ich fürchte, sie ist tot«, sagte sie mit bebender Stimme. Nach einer kurzen Untersuchung erklärte der Arzt: »Nichts mehr zu machen. Besser, wir lassen alles so, wie es ist, bis die Polizei kommt. Wie konnte das passieren?«
    Tuppence erklärte stockend, was geschehen war; über die Gründe, die sie zum Eingreifen veranlasst hatten, ging sie einfach hinweg.
    »Merkwürdige Sache«, bemerkte der Arzt. »Haben Sie nichts gehört?«
    »Ich hörte etwas, das wie ein Schrei klang; aber dann lachte der Mann. Da habe ich natürlich nicht gedacht, dass…«
    »Natürlich nicht«, pflichtete der Arzt ihr bei. »Und der Mann trug eine Maske, sagen Sie? Würden Sie ihn wiedererkennen?«
    »Ich fürchte, nein. Und du, Tommy?«
    »Nein. Aber wir kennen seine Verkleidung.«
    »Vor allem muss man herausfinden, wer dieses arme Mädchen ist«, sagte der Arzt. »Dann wird die Polizei der Sache bald auf den Grund kommen. Wohl kein sehr schwieriger Fall. Ah, da kommt sie schon.«
     
    Es war schon drei Uhr morgens, als das Ehepaar todmüde und erschöpft nachhause kam. Aber Tuppence lag noch stundenlang wach. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere und konnte das Bild dieses blumengleichen Gesichts und dieser Augen voller Schrecken und Grauen nicht loswerden.
    Die Morgendämmerung drang bereits durch die Fensterläden, als sie endlich einschlief. Nach all den Aufregungen war ihr Schlaf schwer und traumlos. Es war heller Tag, als sie erwachte; Tommy stand vollständig angezogen neben ihr und rüttelte sie sanft am Arm.
    »Wach auf, Liebes. Inspektor Marriot ist hier, zusammen mit einem anderen Mann. Sie wollen dich sprechen.«
    »Wie spät ist es denn?«
    »Gleich elf. Alice wird dir sofort deinen Tee bringen.«
    »Gut. Sag dem Inspektor, dass ich in zehn Minuten bereit bin – «
    Eine Viertelstunde später stürmte sie ins Wohnzimmer.
    Inspektor Marriot, der sehr steif und feierlich dagesessen hatte, stand auf, um sie zu begrüßen.
    »Guten Morgen, Mrs Beresford. Das ist Sir Arthur Merivale.«
    Der Mann, dem Tuppence die Hand reichte, war groß und hager. Sein Haar war leicht ergraut, sein Blick verstört. »Es handelt sich um die Geschichte von gestern Abend«, sagte Inspektor Marriot.
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