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Die Büchse der Pandora

Die Büchse der Pandora

Titel: Die Büchse der Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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auf den Stufen der Freitreppe endlich unter vier Augen sprechen.
    »Hören Sie mal«, sagte Tommy. »Sie haben die Verstorbene gesehen, wie sie durch das Gartentor ging. Sind Sie sicher, dass sie allein war?«
    »Oh, sie war bestimmt allein. Niemand war bei ihr.«
    »Und in der Zwischenzeit, nachdem sie eingetreten war und bevor Sie uns trafen, ist niemand aus dem Haus gekommen?«
    »Keine Menschenseele.«
    »Hätten Sie es sehen müssen, wenn einer herausgekommen wäre?«
    »Selbstverständlich! Niemand ist herausgekommen, bevor dieser wilde Kerl auf die Straße stürmte.«
    Majestätisch schritt der Hüter des Gesetzes die Stufen hinunter und blieb bei dem Torpfosten stehen, auf dem in Rot deutlich der Abdruck einer Hand zu sehen war.
    »Amateurarbeit«, bemerkte er mitleidig. »So eine Spur zu hinterlassen!«
     
    Es war am Tag nach dem Mord. Tommy und Tuppence waren immer noch im Grand Hotel, aber Tommy hatte vorsichtshalber sein Priestergewand abgelegt.
    James Reilly war verhaftet worden und saß im Gefängnis. Sein Verteidiger, Mr Marvell, hatte eben ein längeres Gespräch mit Tommy über das Verbrechen gehabt.
    »Ich hätte das von James Reilly niemals gedacht«, bemerkte er einfach. »Er hat immer schon heftige Reden geführt, aber dabei blieb es auch.«
    Tommy nickte.
    »Wenn man so viel Energie auf das Reden verschwendet, bleibt einem in der Regel nicht mehr viel für die Tat. Mir ist klar, dass ich als Hauptzeuge gegen ihn auftreten muss. Die Dinge, die er uns kurz vor dem Mord erzählt hat, sind besonders belastend. Und trotzdem habe ich Sympathien für den Mann; es gibt leider weit und breit keinen anderen Verdächtigen, sonst würde ich ihn für unschuldig halten. Was sagt er selbst?«
    Der Verteidiger spitzte die Lippen.
    »Er behauptet, er habe sie tot auf der Couch liegen sehen, als er ins Zimmer kam. Aber das ist offensichtlich unmöglich. Er sagt die erste Lüge, die ihm in den Sinn kommt.«
    »Ja, denn wenn er tatsächlich die Wahrheit sagt, bedeutet das, dass diese Mrs Honeycott selbst ihre Schwester umgebracht haben muss. Und das wäre zu unwahrscheinlich. Ja, er muss es doch gewesen sein.«
    »Das Dienstmädchen hat den Schrei gehört, vergessen Sie das nicht.«
    »Das Mädchen – ja…« Tommy schwieg einen Augenblick. Dann sagte er nachdenklich: »Was wir doch für gläubige Seelen sind. Wir trauen dem Augenschein, als ob er das Evangelium wäre. Und wenn der Augenschein trügt? Es sind schließlich nur Eindrücke, die uns die Sinne vermitteln – es könnten auch falsche Eindrücke sein.«
    Der Verteidiger zuckte die Schultern.
    »Oh, wir alle wissen, dass es unzuverlässige Zeugen gibt; Zeugen, denen immer wieder etwas Neues einfallt, ohne dass sie die Absicht haben, uns täuschen zu wollen.«
    »Ich meine nicht nur das. Ich meine uns alle – wir sagen Dinge, die wirklich nicht stimmen, und bemerken es nicht einmal. Wir beide zum Beispiel, wir haben sicher schon oft gesagt: ›Da kommt die Post.‹ Aber in Wirklichkeit haben wir nur zwei Schläge an der Haustür und das Klappern des Briefkastens gehört. Neunmal werden wir wohl mit unserer Behauptung Recht haben: Es ist wirklich die Post; aber das zehnte Mal könnte es vielleicht ein kleiner Junge gewesen sein, der uns einen Streich spielt. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ja-a«, sagte Mr Marvell nachdenklich. »Aber ich sehe nicht, worauf Sie hinauswollen?«
    »Nein? Ich weiß es wohl selbst nicht genau. Aber ich fange an zu verstehen. Es ist wie bei einem Wegweiser – weißt du, Tuppence? Der eine Arm weist in die eine Richtung – aber der andere, der weist immer nach der entgegengesetzten. Türen gehen auf, aber sie gehen auch zu. Leute steigen die Treppe hinauf – aber sie stiegen sie auch hinunter. Schachteln schließen sich, aber sie öffnen sich auch.«
    »Was meinst du nur?«, fragte Tuppence.
    »Es ist lächerlich einfach«, sagte Tommy. »Und doch habe ich es eben erst begriffen. Woher weiß man, dass jemand in ein Haus kommt? Man hört, wie die Tür aufgeht und zugeschlagen wird, und wenn man jemanden erwartet, ist man überzeugt, dass es der Erwartete ist. Aber es könnte ebenso gut jemand anders sein, der das Haus gerade verlässt.«
    »Aber Miss Glen hat doch das Haus nicht verlassen?«
    »Nein, ich weiß. Sie nicht – aber ein anderer: der Mörder.«
    »Aber wann ist Miss Glen dann hineingegangen?«
    »Sie kam herein, während Mrs Honeycott in der Küche war und sich mit Ellen unterhielt. Sie haben sie beide nicht

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