Die Burg der Könige
lächeln. Tatsächlich waren die Ausritte mit Melchior einer der wenigen Lichtblicke in ihrem Leben. Der Barde setzte alles daran, sie aufzumuntern. Auf ihren Ausflügen mit Taramis, dem Pferd ihres Vaters, erzählte er ihr Geschichten aus der Zeit der Nibelungen oder sang ihr traurige Balladen vor, die er für den Sängerwettstreit auf der Wartburg im kommenden Herbst übte. Obwohl sie Melchior erst wenige Monate kannte, war er ihr zu einem treuen Freund geworden. Sein altertümliches Auftreten, seine gedrechselte Art zu sprechen brachten sie immer wieder zum Schmunzeln. Auch jetzt konnte sie sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen.
»Nun, die werte Frau Gräfin wird sich ebenso glücklich schätzen, mit Euch auf die Jagd zu gehen«, antwortete sie gespielt steif. Plötzlich hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Mein Gott, der Wein! Ich habe ihn komplett vergessen. Vermutlich spuckt mein Schwiegervater schon Gift und Galle.«
»Lasst mich das für Euch erledigen.« Vorsichtig setzte Melchior den Falken auf dem Rand eines Topfes ab. Dann griff er zu einem frisch gewaschenen Pokal und goss aus einem kleinen Fass etwas von dem Rheinländer Wein ein. »Es ist des Sängers Fluch, beschimpft und bespuckt zu werden. Da kommt es auf einmal mehr auch nicht mehr an.« Er zwinkerte ihr zu, dann begab er sich zur Treppe, die zum großen Saal hinaufführte.
»Ein guter Mann«, murmelte Hedwig, nachdem er verschwunden war. »So galant und gewandt mit den Worten. Nur ein wenig klein, wenn Ihr mich fragt, Frau Gräfin.«
Agnes lachte. »Klein, fürwahr. Aber mit einem großen Herzen.«
Sie roch den Duft des Eintopfs auf dem Feuer und merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Mit einer dampfenden Schüssel setzte sie sich an den abgewetzten Küchentisch und begann gierig zu löffeln.
Es schmeckte tausendmal besser als alles, was der Reichsgraf oben in den kalten Mauern des Rittersaals in sich hineingeschlungen hatte.
***
Schneeflocken fielen träge auf die Waldlichtung und verwandelten die vielen Zelte und die schiefen Hütten in gleichmäßige weiße Hügel. Mathis stand an einem rostigen, abgewetzten Amboss und schlug mit dem Hammer auf eine krumme Hakenbüchse ein. Klirrend hallten die Schläge über den Platz, wie eine Totenglocke, die zum Begräbnis rief. Obwohl er dicht am Feuer stand, wollten seine Finger nicht warm werden, und auch das Rohr war nicht heiß genug, um sich biegen zu lassen. Schließlich gab Mathis auf, er warf das Stück Eisen zu Boden, wo es dampfend und zischend in der kniehohen Schneedecke verschwand.
»Das ist doch alles für die Katz!«, schimpfte er. »Ohne vernünftige Esse bekomme ich keine richtige Glut zustande. Da können wir mit den Hakenbüchsen auch gleich auf die Landsknechte des Herzogs einprügeln, das bringt mehr!«
»Du musst Geduld haben«, mahnte ihn Ulrich Reichhart, der neben ihm mit dem Blasebalg das Feuer schürte. »Die Glut war beinahe heiß genug. Eine echte Schmiede können wir dir hier im Wald eben nicht bieten, das weißt du selbst. Jetzt müssen wir mit der Arbeit noch mal von vorne anfangen!« Fluchend zog er das Rohr aus dem Schnee und legte es erneut in die Glutpfanne. »Was ist bloß mit dir los, Mathis? Seit Tagen schaust du drein wie ein finsterer Waldschrat. Die Männer fangen schon an, den Kopf einzuziehen, wenn sie an dir vorbeigehen.«
»Sollen sie doch«, murrte Mathis und stocherte mit dem Schürhaken in der Asche. »Mir ist ohnehin nicht nach Gesprächen zumute. Und den meisten anderen hier auch nicht.«
Missmutig ließ er den Blick über die Lichtung schweifen, auf der sich knapp hundert Aufständische versammelt hatten. Sie hatten ihr Lager in einem einsamen Tal nahe dem kleinen Ort Dimbach aufgeschlagen; die Stadt Annweiler war nur wenige Meilen entfernt. Die Männer kauerten an kleinen, schwarz blakenden Lagerfeuern, gehüllt in Felle und zerfetzte Decken. Sie schärften ihre Sensen und Sauspieße, löffelten wässrige Eichelmehlsuppe und unterhielten sich gedämpft. Irgendwo spielte jemand auf einer Fiedel, doch es gab keinen, der dazu singen oder tanzen wollte. Die Aufbruchsstimmung, die noch vor einigen Wochen geherrscht hatte, war einer bleiernen Apathie gewichen. Die Kälte saß den Männern in den Gliedern und erfüllte sie mehr und mehr mit Zweifel.
Im Herbst hatte es noch so ausgesehen, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Bauern im ganzen Reich erheben und über ihre Unterdrücker herfallen würden. Im Hegau und im
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