Die Burg der Könige
und die seltsame Unbekannte, aus deren Augen sie in die Vergangenheit geblickt hatte, nicht mehr zu ihr zurückgekehrt. Der Zauber des Trifels schien gebrochen, und es gab nichts, was ihn zurückholen konnte. Alles, was ihr blieb, war der rätselhafte Siegelring, den sie in einer kleinen Schatulle unter ihrem Bett versteckt hatte und nur noch gelegentlich hervorholte.
Niedergeschlagen betrat Agnes die große Küche, die sich im Erdgeschoss der Burganlage befand. An der rauchenden Feuerstelle, über der ein gewaltiger verrußter Abzug in den Raum ragte, stand die alte Hedwig und stellte gerade einen dampfenden Kupfertopf auf ein Dreibein. Die Köchin war die Einzige, die Agnes von den alten bekannten Gesichtern noch geblieben war. Die Burgmannen Gunther und Eberhart dienten weiterhin drüben auf dem Trifels, der alte Geschützmeister Reichhart hatte sich aus dem Staub gemacht und den Rebellen angeschlossen, und Pater Tristan war schon vor Wochen von Abt Weigand nach Eußerthal gerufen worden, um ihm bei der lästigen Schreibarbeit zu helfen.
Agnes spürte einen Stich im Herzen, als sie an den Menschen dachte, der ihr von allen am nächsten stand und der doch am fernsten war.
Mathis …
Seitdem er aus dem Annweiler Gefängnis geflohen war, hatte Agnes ihren Jugendfreund nicht mehr gesehen. Es hieß, er habe sich wie Reichhart den Aufständischen angeschlossen, die in den letzten Monaten immer zahlreicher geworden waren. Agnes hatte Geschichten gehört, dass die Bauern den jungen Waffenschmied mittlerweile als einen ihrer Anführer feierten. Ihren kleinen, dummen, störrischen Mathis. Wie lange war es her, dass sie gemeinsam im Wald gespielt hatten? Wie lange …
»Was hast du, mein Kind?«
Hedwigs Stimme riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Agnes blickte auf und sah, dass die alte, rundliche Köchin sie besorgt musterte. Hedwig seufzte.
»Jeden Tag siehst du blasser aus! Du musst mehr essen, dann wird alles gut, wirst schon sehen. Der Herrgott hat es doch gut mit uns gemeint, ja, ja, ganz sicher.« Hedwig nickte und rührte in dem Eintopf über dem Feuer, während sie weiter vor sich hinbrabbelte. »Draußen frieren und hungern die Bauern, überall herrschen Mord und Totschlag, es ist zum Verzweifeln! Wir sollten dankbar sein, dass wir hier an einem warmen Feuer stehen und zu essen haben, ja, ja.«
»Vielleicht wäre es besser, frierend und kämpfend zu sterben, als auf Seiten der Ausbeuter in warmen Betten zu liegen«, entgegnete Agnes düster.
»Oh, oh, das lass nur nicht den Herrn Grafen hören!« Hedwig schüttelte den Kopf. »Du bist jetzt Gräfin, Agnes, vergiss das nicht! Mit uns einfachen Leuten hast du nichts mehr zu schaffen.«
»Ach, Hedwig«, seufzte Agnes, »ich erinnere mich noch gut daran, wie du mir als Kind das frisch gebackene, dampfende Brot gebrochen und mit Honig bestrichen hast.« Sie grinste. »Und wenn ich Schmutz in die Küche getragen habe, hast du wie ein Rohrspatz geschimpft. Und jetzt soll ich plötzlich für dich eine Gräfin sein? Ich fürchte, das werde ich in diesem Leben nicht mehr lernen.«
»Es gibt noch viele andere Dinge, die Ihr lernen müsst, Jungfer.«
Agnes sah hinüber zum niedrigen Hofportal, von woher die neue Stimme gekommen war. Es war der Barde Melchior von Tanningen, der ihren Falken Parcival auf dem Lederhandschuh trug. Der Vogel hatte seine Haube auf und war so ruhig, als würde Agnes ihn selbst führen.
»Draußen ist mir ein Küchenjunge begegnet, der meinte, die Gräfin würde den Wein selbst hinauf in den Saal tragen«, sagte er lächelnd. »Wenn sich das herumspricht, wird Euch der Sohn des Annweiler Ziegenhirten demnächst fragen, ob Ihr seine Schuhe putzt.«
»Der Diener hatte den Wein versehentlich verschüttet«, erwiderte Agnes zögerlich. »Ihr kennt meinen Gemahl. Ich hielt es für das Beste, den Jungen erst mal von ihm fernzuhalten.« Sie sah ihn misstrauisch an. »Was macht Ihr überhaupt mit meinem Falken?«
»Er lahnte, vermutlich hat er vor Sehnsucht nach Euch geschrien. Außerdem kommt er schon bald wieder in die Mauser. Seht selbst.« Melchior deutete auf einige graue, zerzauste Federn. »Bevor er ganz unansehnlich wird, sollten wir ihn noch ein paarmal hinaus in die grauen Winterwolken schicken. Was meint Ihr?« Der Barde deutete eine Verbeugung an. »Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich die werte Frau Gräfin morgen zur Jagd begleiten dürfte. Das sollte ihre Laune wieder heben.«
Unwillkürlich musste Agnes
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