Die Burg der Könige
Allgäu, aber auch im Schwarzwald, in Franken, im Elsass und in Thüringen, überall hatten sich mittlerweile Haufen gebildet, die sich gegen die drückende Steuerlast, das Jagdverbot, das Sterbegeld und andere Schikanen der hohen Herren zur Wehr setzten. Das ganze Land um den Bodensee befand sich in Aufruhr, Tausende von Bauern, so hieß es, hätten sich unter dem Banner der Freiheit zusammengeschlossen. Doch seit einigen Wochen gab es keine neuen Meldungen mehr, die Welle der Rebellion war ganz offensichtlich nicht bis herüber in die Pfalz geschwappt. Und so warteten sie hier tagein, tagaus, während ihnen langsam Ohren, Nasen und Finger abfroren. Der Winter schien kein Ende zu nehmen, und die ersten Männer waren bereits wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt. Wer blieb, ernährte sich von Eicheln, Bucheckerngrütze und gelegentlich einem mageren Hasen oder einem Eichhörnchen.
»Lange können wir hier nicht mehr ausharren«, sagte Mathis leise, wie zu sich selbst. »Wir haben den Bauern ein Leben in Freiheit versprochen, aber das Leben hier ist weitaus schlechter als das, was sie bislang kannten.«
»Der Jockel meint, unten am Rhein hätten die Unsrigen bereits ein paar Burgen und Klöster angezündet«, erwiderte Reichhart. »Es kann nicht mehr lange dauern, sagt er.«
»Der Jockel sagt viel, wenn der Tag lang ist. Viele schöne, gewundene Worte, ob sie wahr sind, ist eine andere Frage.«
Mathis spuckte ins Feuer, dann begann er erneut, auf das Eisen einzuklopfen. Das stete Geräusch half ihm, wenigstens ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Tatsächlich erschien ihm ihr gemeinsamer Kampf gegen Adel und Kirche immer aussichtsloser; hinzu kam aber auch, dass er gerade in den letzten Wochen immer wieder an Agnes dachte. Seit fast einem Jahr hatten sie sich nun nicht mehr gesehen. Nur ab und zu erfuhr er durch Hausierer und entlaufene Dienstboten, was oben auf dem Trifels und der Burg Scharfenberg vor sich ging. Agnes war nun eine verheiratete Gräfin, sie lebte in Prunk und Pracht, und sie schien sich darin durchaus wohl zu fühlen. Ob sie überhaupt noch an ihn dachte, an den ehemaligen Burgschmied und Ausgestoßenen? Zorn brodelte in Mathis, ein Zorn, der sich mit einem anderen Gefühl mischte, dem er erst nach einer Weile einen Namen geben konnte.
Liebe.
Beide Gefühle waren sich sehr, sehr ähnlich.
Plötzlich ertönten laute Stimmen und Hochrufe. Dankbar für die Ablenkung hob Mathis den Kopf und sah eine Gruppe Männer, die quer über den Platz auf ihn zuschritten. Als sie näher kamen, erkannte er unter ihnen den Schäfer-Jockel, aber auch ein paar weitere Männer, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Die Neuankömmlinge hielten Abstand zu dem buckligen, schiefgewachsenen Schäfer, ob aus Abscheu oder Ehrfurcht, das ließ sich nicht sagen.
Abwartend musterte Mathis den Anführer ihres kleinen, frierenden Bauernhaufens. Seine zerrissene Kleidung hatte Jockel in der Zwischenzeit gegen weitgeschnittene geschlitzte Landsknechtshosen und ein blutrotes Wams eingetauscht, darüber trug er einen Mantel aus weichem Bärenfell; auf dem Kopf thronte gleich einer Krone ein zerschlissenes samtenes Barett mit Hahnenfedern. An Jockels Seite hielten sich Jannsen und Paulus, zwei ehemalige Landstreicher aus dem Badischen, die sich gerne als seine Leibgarde bezeichneten.
»Macht Platz für den Anführer!«, riefen sie und schoben ein paar Bauern zur Seite, die in einer Kuhle im Schnee müde aneinanderkauerten. »Macht doch endlich Platz!« Mit ihren Spießen und rostigen Helmen, die sie irgendwo gestohlen hatten, sahen die beiden Leibwachen aus wie das Zerrbild tapferer Paladine.
»Da ist er ja, mein treuer Waffenschmied!«, wandte sich Jockel schließlich grinsend an die Fremden, während er mit herrschaftlicher Gebärde auf Mathis deutete. »Glaubt mir, der Mathis ist der beste Geschützmeister von hier bis zum Bodensee. Mit ihm an der Seite werden wir die Ritter und Pfaffen wie Ungeziefer aus ihren Burgen und Klöstern scheuchen.«
»Ein Geschützmeister ohne Geschütze, wie ich sehe«, erwiderte einer der Fremden spöttisch. Es war ein älterer, breitgewachsener Mann mit wachem Blick und der Kleidung eines biederen Handwerkers. Mathis vermutete, dass er in seinem Ort der Dorfvogt war. Der Mann deutete auf das krumme Rohr, das vor ihm im Feuer lag. »Aus dem hier lässt sich ja wohl kaum noch eine vernünftige Hakenbüchse herstellen. Ich bin selbst Schmied, ich weiß, wovon ich rede.«
»Wir haben ein ganzes
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