Die Burg der Könige
Namen waren darauf zu lesen. Johann und Constanza. Die beiden flohen damals gemeinsam von der Burg. Pater, wer ist diese Constanza? Ich muss es wissen!«
Pater Tristan versuchte ein Lächeln. »Sie steht dir näher, als du ahnst. Frag die Chorherren von Sankt Goar, sie können dir weiterhelfen. Das … das Dokument … es ist in ihrem Besitz. Die Bruderschaft hat es ihnen gegeben … die Bruderschaft …«
Seine Stimme wurde schwächer. Agnes fasste seine dünne, faltige Hand und drückte sie fest.
»Pater!«, schrie sie, so dass die übrigen Kranken erschrocken zu ihnen herüberblickten. »Pater, Ihr dürft mich nicht verlassen! Nicht jetzt! O Gott …«
Tränen rollten Agnes übers Gesicht, als die Hand des alten Mönchs plötzlich erschlaffte. Ein tiefer, langer Atemzug war zu hören, dann kippte sein Kopf zur Seite. Auf Pater Tristans Gesicht breitete sich unendliche Ruhe aus.
Auch die übrigen Anwesenden im Krankensaal schwiegen nun, als sie merkten, dass der alte Mann von ihnen gegangen war. Selbst das Husten und Röcheln setzte eine Weile aus, eine der Klostermägde murmelte ein lautloses Gebet und trocknete sich die verheulten Augen.
»Coindeta sui, si cum n’ai greu cossire, quar pauca son, iuvenete e tosa …«
Ohne zu wissen warum, sang Agnes plötzlich leise das alte okzitanische Schlaflied, das sie von ihrer Mutter her kannte. Noch immer hielt sie Pater Tristans Hand und tätschelte sie sacht. Es war vorbei. Alle ihre vielen Fragen waren unbeantwortet geblieben, doch im Grunde war dies gleichgültig. Schon bald würde sie Pater Tristan im Paradies wiedersehen, auch ihre längst verstorbene Mutter, ihren Vater … Sie lächelte traurig. Hier war alles zu Ende.
In diesem Augenblick ertönte von jenseits des Krankenzimmers ein Lärm, als würde der Leibhaftige persönlich anklopfen.
Gleich darauf flog die Tür auf.
Mathis wartete vor dem Krankenzimmer und verfluchte den Schäfer-Jockel, sich selbst und die ganze Welt. Als Agnes ihn zuvor hasserfüllt angestarrt hatte, war alles Leben aus ihm gewichen. Für sie war er schlicht ein Mörder und Brandschatzer, und sie hatte, verdammt noch mal, recht damit! Sein ganzes Lügengebäude von einer gerechten Welt, von freien Bauern und einem von Gott gesegneten Aufstand war mit einem einzigen Blick von ihr zusammengebrochen. Solange es Männer wie den Jockel gab, würde sich niemals etwas ändern! Ein Herrscher löste den anderen ab – ob Bischof, Herzog oder Bettelmann, die Menschen blieben gleich schlecht. Hatte er wirklich geglaubt, das Himmelreich auf Erden mit Blut und Feuer erkämpfen zu können? Nun würde die Frau, die er liebte, von Männern getötet werden, deren Freiheit er einst herbeigesehnt hatte.
Sie sind wie Tiere , dachte er. Wir alle sind nicht besser als Tiere …
Niedergeschlagen starrte er zu Boden, als ihn ein sanfter Stoß in die Seite aufrüttelte. Es war Ulrich Reichhart, der ihm zublinzelte. Reichharts Blick wanderte hinüber zu der Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges. Sie besaß einen Riegel und machte einen ziemlich massiven Eindruck. Mathis stutzte.
Was um Himmels willen hat er vor?
»Beim Arsch meiner Großmutter, wenn ich gewusst hätte, dass diese Beichte so lange dauert, hätte ich vorher noch was gegessen!«, schimpfte Reichhart. »Dieses Töten macht hungrig.« Verschwörerisch senkte er die Stimme. »Da hol ich mir doch lieber eine fette Wurst aus der Vorratskammer.«
»Vorratskammer?« Jannsen sah ihn argwöhnisch an. »Welche Vorratskammer?«
Ulrich Reichhart deutete auf die gegenüberliegende Tür. »Hat euch der Jockel gar nichts davon erzählt? Wir haben alles Essbare, was wir gefunden haben, hier eingeschlossen. Für schlechte Zeiten, versteht sich.« Er grinste. »Geräucherter Schinken und Würste, kandierte Pflaumen, Stockfisch, Met, kalter Braten …«
Jannsens Augen quollen förmlich über, als er von diesen Köstlichkeiten hörte. »Du … du machst Witze, oder?«
»O Gott, nein!«, lachte Reichhart. »Schau selber nach, wenn du mir nicht glaubst.«
»Das tu ich, verlass dich drauf.« Jannsen zog den schweren Riegel zurück und öffnete die Tür. Im Inneren war es stockdunkel, so dass er einen Schritt hineintreten musste, um etwas zu erkennen.
»Verdammt!«, knurrte er. »Willst du mich veräppeln? Hier sind keine Würste, hier ist nur …«
»Die Rumpelkammer, ich weiß.« Ulrich Reichhart gab dem Wachmann einen Tritt in den Hintern, so dass dieser schreiend nach vorne stürzte. Mit
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