Die Burg der Könige
umgeleitet. Er geht unter dem Kloster hindurch und kommt auf der anderen Seite wieder heraus. Die Mönche nutzen ihn zum Waschen und um ihre Notdurft zu entsorgen.«
»Und wenn irgendwo ein Gitter den Kanal absperrt?«, beharrte Agnes.
Hinter ihnen krachte etwas laut gegen die Tür. Das Blatt einer Axt fuhr durch das Holz.
»Überhaupt, wer sagt, dass ich mit euch Mörderbande …«, fuhr Agnes fort. Doch in diesem Augenblick gab ihr Mathis einen Stoß, und sie fiel mit einem überraschten Aufschrei in den Kanal. Ulrich Reichhart war bereits unter den Latrinen verschwunden.
»Tauch!«, rief Mathis Agnes zu. »Tauch oder lass dich vom Jockel lebendig verbrennen. Denn das ist das mindeste, was er schon bald mit uns anstellen wird.«
»Oh, Mathis, du … du …« Agnes’ Stimme schwankte zwischen Furcht und Zorn. Schließlich holte sie tief Luft und verschwand unter den Latrinen. Während Mathis in den Kanal sprang und ihr nachtauchte, hörte er hinter sich das Bersten der Tür und triumphierendes Gejohle. Dann wurde es um ihn herum dunkel.
Das Wasser war so kalt, dass ihm die Glieder schmerzten. An den glitschigen Kanalwänden schob Mathis sich voran, immer in der Angst, vor ihm könnte plötzlich ein Wehr auftauchen oder er würde einfach stecken bleiben. Doch die Strömung trug ihn weiter und weiter. Vor sich konnte er nun schemenhaft einen zappelnden Körper ausmachen, von dem er annahm, dass es sich um Agnes handelte. Die Luft wurde langsam knapp, eine unsichtbare Faust umklammerte seinen Brustkorb. Noch immer war kein Ende des unterirdischen Bachlaufs in Sicht. Um ihn und über ihm war nichts als harter Fels.
Wir werden hier unten ersaufen wie Ratten , fuhr es ihm durch den Kopf. Nun, wenigstens haben wir es versucht …
Als bereits erste Sterne vor Mathis’ Augen tanzten, wurde es plötzlich wieder heller. Er stieß sich mit den Beinen ab und durchbrach die Wasseroberfläche. Kalte Luft strömte in seine Lunge und erfüllte ihn mit Leben, das Sonnenlicht stach hell in seine Augen.
Als er den Kopf hob, sah Mathis etwa zehn Schritt vor sich Ulrich Reichhart, der gerade Agnes aus dem reißenden Kanal zog. Sie hustete und spuckte Wasser, aber wenigstens schien sie am Leben. Zur Linken und Rechten breiteten sich Äcker aus, die Klostermauer war nur noch einen Steinwurf entfernt.
Mit den Füßen paddelnd wie ein Hund, ließ Mathis sich noch ein Stück weit treiben, dann stieg auch er aus dem Bach und hastete den beiden anderen nach, die bereits an der äußeren Klostermauer angelangt waren, dort, wo sich auch die Gusswerkstatt befand. Bleich und noch immer um Atem ringend funkelte Agnes ihn an.
»Das … das verzeih ich dir nie, Mathis Wielenbach«, keuchte sie. »Erst schließt du dich dieser Mordbande an, und dann ersäufst du mich auch noch fast wie eine junge Katze.«
»Wie wäre es zur Abwechslung mit ein bisschen Dankbarkeit?«, gab Mathis ebenso atemlos zurück. »Ich habe dir soeben das Leben gerettet. Aber nein, die Frau Gräfin …«
»Vielleicht könntet ihr eure Streitereien ein andermal fortsetzen«, unterbrach sie Ulrich Reichhart und deutete auf die Mauer. »Erst wenn wir die hinter uns haben, haben wir es wirklich geschafft. Dann beginnt der Wald, da kriegen sie uns nicht mehr.«
Er begann an der etwa drei Schritt hohen Wand hochzusteigen, an deren Innenseite einige Steine herausragten. Nach einigem Zögern folgten ihm Mathis und Agnes, wobei die Vogtstochter Mathis noch so manchen zornigen Blick zuwarf. Auf der anderen Seite gähnte ein sumpfiger Graben, der mit Schneeresten gefüllt war. Sie sprangen hinunter, landeten weich im Matsch und krochen schließlich zum Waldrand, wo sie sich hinter einer Brombeerhecke verbargen.
Eine Zeitlang blieben alle drei wie tot liegen und rangen nach Luft. Mathis zitterte, Hemd und Beinlinge klebten ihm nass auf der Haut. Den anderen erging es nicht besser. Agnes rieb ihre eisigen Glieder, und Mathis ertappte sich dabei, wie er ihr auf die Brüste starrte, die sich unter dem nassen Wams abzeichneten. Wasser tropfte von Agnes’ blonden Haaren zu Boden und bildete dort eine Lache. Wenigstens schien mittlerweile warm die Sonne, doch schon bald ertönten vom Kloster her die ersten Schreie.
»Sie machen sich auf zur Jagd«, sagte Mathis düster und richtete sich auf. »Wenn wir uns nicht beeilen, war unsere ganze Flucht umsonst. Dann zieht uns der Jockel die Haut in Streifen ab.«
»Wenigstens haben sie keine Hunde«, warf Ulrich Reichhart
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