Die Burg der Könige
auf Eurem Tisch. Ihr müsst sie nur noch unterschreiben.« Er zögerte. »Dürfte ich Eure Exzellenz noch auf ein anderes Problem aufmerksam machen? Es geht um den französischen König. Unsere Agenten berichten, dass er immer noch an Flucht denkt.«
»Solange er nur daran denkt, soll mir das recht sein. Großmarschall Lannoy gab mir sein Wort, dass er Franz in Pizzighettone wie seinen eigenen Augapfel hütet.«
Gattinara seufzte. »Das ist ehrenhaft. Aber bedenkt, was geschieht, wenn Franz tatsächlich fliehen sollte. Seine Rache würde fürchterlich sein. Tot hingegen …«
»Ich werde es nie zulassen, dass dem französischen König ein Haar gekrümmt wird«, unterbrach Karl seinen Kanzler barsch. »Ich habe Euch das schon mal gesagt, Gattinara, und ich werde mich nicht noch mal wiederholen. Wir sind Ehrenmänner, keine Schurken und Mörder!«
»Nun, Ehre und Politik schließen sich manchmal aus«, gab der Kanzler zu bedenken.
»Das mag für Euch gelten, nicht für mich. Und nun lasst mich endlich allein.«
Gattinara verbeugte sich tief. Wie ein Schatten verschwand der Kanzler hinter dem Portal, das sich leise schloss.
Der deutsche Kaiser runzelte die Stirn und wandte sich wieder den Dokumenten auf seinem Tisch zu. Er würde Gattinara in nächster Zeit wohl genauer beobachten lassen müssen. Der Kanzler schoss immer öfter übers Ziel hinaus.
Seufzend fuhr Karl damit fort, die unzähligen Erlasse zu unterschreiben, die ihm Gattinara vorgelegt hatte. Todesurteile, Gnadenakte, Amtsernennungen, Schuldscheine – und auch den Angriffsbefehl für den Schwäbischen Bund gegen die Bauern.
Politik war wirklich ein schweißtreibendes Geschäft.
***
Gleichmäßig glitt das Schiff durch die trägen Fluten des Rheins, wie eine ferne Spielzeuglandschaft zogen Weinberge, Burgen und kleine Dörfer an Agnes vorüber. Nur einen Steinwurf von ihr entfernt fuhr ein Fischerboot, dicht gefolgt von einem Floß, beladen mit Fässern und Holz, das von einigen Ochsen vom Ufer aus gezogen wurde. Ein paar Männer zurrten die Ladung fest, sie waren so nah, dass sie Agnes’ Hilferufe bestimmt hören würden. Doch sie wusste, dass dies aussichtslos war. Was sollten die Fischer schon tun, außer ihr zuzuwinken?
Agnes saß am Bug des Kahns und hielt ihre Hände in das kühle Wasser. Gerne hätte sie auch die Füße über die Reling baumeln lassen, doch Marek und Schniefnase achteten sehr darauf, dass sie sich nicht zu sehr vornüberlehnte. Schon einmal, gleich am Tag nach ihrer Entführung, hatte sie versucht, über Bord zu springen. Barnabas hatte sie daraufhin fesseln lassen. Hier in der Mitte des Rheins hielt er das nicht mehr für nötig, trotzdem hatte der Räuberhauptmann Agnes gewarnt.
»Das nächste Mal, wenn du versuchst zu fliehen, fessle ich dich wieder«, hatte er gesagt. »Und dann werf ich dich eigenhändig über die Reling. Ich glaube kaum, dass du es bis zum Ufer schaffst.«
Agnes wusste, dass er seine Drohung wahrmachen würde. Sie war eine wertvolle Ware, aber der Hurenhändler mit seinem wilden schwarzen Bart und seinen ebenso wilden Haaren neigte nun mal zu Tobsuchtsanfällen, und dann vergaß er jegliche Vernunft. Außerdem hatte Barnabas es Agnes noch immer nicht verziehen, dass bei ihrer Entführung gleich drei seiner Männer ums Leben gekommen waren.
»Tod den Franzosen! Tod den Franzosen!«
Die schrillen, hohen Schreie rissen Agnes aus ihren Gedanken. Der Lärm kam aus dem rostigen Käfig, der auf einer Reisetruhe in der Mitte des Bootes stand. Darin saßen auf einer Stange zwei bunte Vögel mit großen, hakenförmigen Schnäbeln und flatterten aufgeregt mit ihren Flügeln. Als die Tiere das erste Mal gesprochen hatten, war Agnes noch erschrocken. Mittlerweile aber hatte sie begriffen, dass sie nur Laute nachplapperten. Barnabas nannte sie »Papageien«. Er hatte sie auf einem Markt in Neapel gekauft, genau wie Satan, den kleinen Affen, der gerade an einer Leine am Bootsrand balancierte und zum Ufer hinüberstarrte. Das Äffchen tanzte so aufgeregt auf und ab, als würde dort drüben ein wilder Löwe lauern, und die Männer lachten über seine Vorstellung. Jemand warf Satan eine Nuss zu, die er geschickt auffing und mit seinen spitzen Zähnen knackte.
Agnes hasste Satan. Zwar hatte sie schnell eingesehen, dass es sich nur um ein Tier und nicht um einen Dämon handelte, aber trotzdem empfand sie den Affen als bösartig. Seine kleinen roten Augen schienen ihr ständig zu folgen, er kratzte und biss;
Weitere Kostenlose Bücher