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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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werden?
    Noch nie hatte Agnes sich so einsam gefühlt. Tränen stiegen in ihr auf, und es war allein Agathes verträumter Ausdruck, der sie davon abhielt, sich über die Reling zu stürzen.
    Sie braucht mich. Sie braucht meine Geschichten.
    Am frühen Abend legten sie in einem Ort namens Rotmühle an. Das Städtchen hatte einen kleinen Fährhafen mit einem Zollhaus und einer langgezogenen Mole, an der sich einige gelangweilte Hafenarbeiter tummelten. Als sich herumsprach, dass ein Schiff aus fernen Landen angelegt hatte, mit sprechenden Vögeln und einem kleinen haarigen Teufel, strömten die Bewohner Rotmühles hinunter zum Hafen. Barnabas und seine Leute hatten aus Kisten und Tuchballen auf der Mole eine Art Arena aufgebaut. In dieser schritt der Hurenhändler nun wichtigtuerisch auf und ab, während er seinen Zuschauern die Sensationen der kommenden Vorstellung ankündigte.
    »Die Vögel stammen aus einem Land weit jenseits des Meeres, wo auch die Hunde, die Katzen, ja selbst die gefürchteten Löwen sprechen können!«, rief er in die staunende Runde. »Sie sind weiser als der Papst und geschwätziger als meine hochverehrte Schwiegermutter!«
    Die Leute lachten und johlten, während Agnes vom schaukelnden Schiff aus das immer gleiche Schauspiel beobachtete. Die Männer hatten sie und Agathe mit Tauen an die Ruderbank gefesselt. Das Seil scheuerte an Agnes’ Handgelenken, und wie so oft hatte Samuel ein Auge auf sie.
    »Könnt froh sein, dass euch unser Herr so verwöhnt«, knurrte der Räuber und pulte mit seinem Messer unter den Fingernägeln. »Wenn’s nach mir ginge, wärt ihr schon lange bei den Fischen.« Er grinste. »Natürlich nicht, bevor ich es euch beiden nicht ordentlich besorgt hätte. Als Abschiedsgruß sozusagen.«
    »Pass auf, dass ich Barnabas nicht davon erzähle, du Holzkopf«, erwiderte Agnes. »Wir sind kostbare Ware, vergiss das nicht. Mit der spielt man nicht.«
    Sie wusste mittlerweile, dass der Hurenhändler schon seit einigen Jahren auf dem Rhein und der Donau unterwegs war. Er hielt Ausschau nach hübschen Mädchen, die er den hungernden Eltern abkaufte, um sie später in Bordellen unten am Schwarzen Meer als kostbare weißhäutige Exotinnen zu verscherbeln. Im Gegenzug brachte er türkische Sklaven in die deutschen Länder. Eben erst hatte Barnabas einem Pfälzer Grafen zwei zehnjährige Mohren verkauft, die dieser auf Audienzen nun stolz zur Schau stellte.
    »Pah, kostbare Ware!« Samuel spuckte ins Wasser. »Wer sagt denn, dass du überhaupt eine Gräfin bist, hä? Vielleicht haben uns diese beschissenen Bauern auch angelogen. Und selbst wenn, was schadet’s schon, wenn wir dich vorher noch richtig rannehmen.« Er blinzelte sie verschlagen an. »Schließlich müssen wir die Ware erst prüfen, nicht wahr?«
    »Rühr mich an, und ich schrei, dass ganz Rotmühle es hört! Mal sehen, was dein Herr dazu sagt.«
    Achselzuckend wandte sich Samuel ab und bearbeitete weiter seine Fingernägel mit dem Messer. Mittlerweile hatte Barnabas die Papageien aus ihrem Käfig geholt und hielt sie jeden auf einem Arm.
    »Der Papst ist ein Vielfraß, der Papst ist ein Vielfraß!«, krähte der eine von ihnen. Barnabas hatte ihm dieses Sprüchlein beigebracht, weil er gemerkt hatte, dass sich die Stimmung in den deutschen Landen gegen Rom gewendet hatte. Mit dieser Nummer erntete er immer eine Menge Lacher. Der Hurenhändler tat so, als würde er den Vogel entrüstet zurechtweisen. Dann deutete er auf den zweiten Papagei.
    »Wenn du so weitermachst, landest du noch in einem Kochtopf der Inquisition«, sagte er drohend. »Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder hier. Der weiß, was sich gehört.«
    »Ein Hoch auf den Kaiser, ein Hoch auf den Kaiser!«, schrie dieser nun. Diesmal allerdings blieb die Menge seltsam still.
    »Wo ist der Kaiser denn, wenn wir ihn brauchen, hä?«, schrie jemand plötzlich aus den hinteren Reihen. »Die Pfaffen, Grafen und Herzöge fressen uns die Haare vom Kopf. Doch nicht mehr lange! Vom Süden her zieht ein Sturm auf, der wird die hohen Herren einfach wegfegen!«
    Hier und da war zustimmendes Gemurmel zu vernehmen.
    »Im Fränkischen haben sich die Bauernhaufen jetzt zu einem großen Heer vereinigt«, rief ein anderer. »Sogar die Ritter sind daran beteiligt. Und unten am Bodensee sollen es viele Tausend sein, die dem Truchsess einen Vertrag abgerungen haben. Ha, das sollten wir hier auch machen!«
    »Wir brauchen den Kaiser nicht!«, meldeten sich jetzt mehrere Stimmen.

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