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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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außerdem war er es gewesen, der Agnes’ ersten Fluchtversuch mit lautem Getöse vereitelt hatte. Manchmal kam es ihr vor, als wäre das Tier schlauer als sein eigener Herr. Auch jetzt starrte der Affe wieder hämisch zu ihr her­über, während er an der Nuss knabberte.
    »He, Gräfin! Schwing deinen Arsch ins Boot, bevor ich dir Beine mache!«
    Hinten am Heck stand Barnabas am Steuerruder und spuckte eine Ladung Rotz ins Wasser.
    »Ich mag es nicht, wenn du so sehnsüchtig auf die anderen Schiffe starrst«, fuhr er fort. »Machst die Fischer noch ganz rammdösig, wie eine Nixe.« Er lachte und drückte das Ruder zur Seite, um einem größeren Strudel auszuweichen. Die Männer hatten ein Segel gespannt, was es ihnen ermöglichte, auch ohne Ruder langsam stromaufwärts zu fahren. Ein leichter Wind wehte von Norden und machte Agnes einmal mehr klar, dass sie sich immer weiter von ihrem eigentlichen Ziel entfernte.
    Sankt Goar …
    Sie seufzte leise und rutschte von der Reling hinunter auf eine der vorderen Ruderbänke. Seit fast zehn Tagen waren sie nun schon unterwegs. Die reißende Queich hatte sie zunächst bis zum Rhein gebracht, seitdem war ihre Reise ruhig und eintönig verlaufen. Sie segelten stromaufwärts, wobei die Männer manchmal auch rudern mussten, wenn die Strömung zu stark wurde. Gelegentlich liefen sie einen Fährhafen an, um zahlendem Pöbel einen leibhaftigen Dämon, zwei sprechende Vögel und ein paar Kunststücke zu präsentieren. Barnabas unterhielt die Leute mit großspurigen Reden, während Marek und Schniefnase sie zur gleichen Zeit beklauten. Samuel passte derweil auf die zwei Frauen auf.
    Samuel war der Schlimmste von ihnen. Seine Bösartigkeit war durchaus mit der des Affen zu vergleichen, außerdem war er fast ebenso behaart. Er war der Bruder des Mannes, den Mathis in der Albersweiler Taverne erschlagen hatte. Oft wanderten Samuels Blicke wie kleine Spinnen über Agnes und Agathe, während er mit seinem Messer spielte und anzügliche Bemerkungen fallenließ. Noch hatte er sie nicht angerührt, doch das lag nur daran, dass Barnabas seine Ware nicht beschädigen wollte. Außerdem glaubte der Hurenhändler, dass zumindest die kleine Agathe noch Jungfrau war. Das trieb den Preis hoch. Für beide Mädchen hatte Barnabas enge Röcke und Mieder besorgt, wie sie die Dirnen in den Städten trugen. Wenn sie gelegentlich in den kleinen Hafenorten anlegten, spürte Agnes die Blicke der Männer wie schmutzige Finger.
    »Hör auf zu weinen, Kleines. Das macht dich nur müde und hungrig.« Mitfühlend wandte Agnes sich der Wirtstochter zu, die mit verheulten Augen in der Bilge kauerte. Sie hatte die Arme um die Knie geschlungen, so als wäre sie auf diese Weise unantastbar. Agathe war erst dreizehn Jahre alt und hatte mit ihrem Vater, dem Albersweiler Hafenwirt, allein gelebt, seit die Mutter und die kleine Schwester vor zwei Jahren an der Schwindsucht gestorben waren. Nun war auch der Vater tot, und Agathe drohte ein schmutziges, kurzes Leben als billige Dorfhure oder Landsknechtsfrau.
    »Soll ich dir noch mal von König Artus und der Tafelrunde erzählen?«, fragte Agnes lächelnd und beugte sich zu dem Mädchen hinunter. Als Agathe zögerlich nickte, zog Agnes sie zu sich auf die Ruderbank und legte ihr den Arm um die Schulter. Auch wenn sie nur ein paar Jahre älter war, fühlte sie sich beinahe wie eine fürsorgliche Stiefmutter.
    »Die … die Geschichte vom Heiligen Gral«, sagte Agathe und wischte sich über die verheulten Augen. »Wie Parcival die Burg von König Anfortas gefunden hat.«
    Agnes fing mit ruhiger Stimme an zu erzählen. Sie kannte die Legende so gut, dass es ihr leichtfiel, sie an dieser und jener Stelle auszuschmücken oder ein wenig zu verändern. Mit offenem Mund lauschte die Dreizehnjährige, wenigstens in diesem Moment hatte sie ihre Sorgen vergessen. Eine Gnade, die Agnes nicht gegeben war. Selbst während des Erzählens musste sie an Mathis denken, an ihre missglückte Flucht und daran, was ihr die Zukunft wohl brachte. Barnabas würde sie irgendwo am Rhein oder noch weiter weg am Schwarzen Meer als Hure verkaufen. Wenn sie sehr großes Glück hatte, gelang ihr irgendwann die Flucht. Doch was sollte dann aus ihr werden? Der Hurenhändler hatte ihr das Geld und den Großteil ihrer Kleidung abgenommen – auch den Ring, den er in einer Seemannstruhe am Bug des Schiffes verwahrte. Wie sollte sie jemals nach Sankt Goar gelangen, und selbst wenn – was sollte dann aus ihr

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