Die Burg der Könige
eilte er auf Agnes zu, die noch immer schreckensstarr neben dem Karren stand. Jetzt, aus der Nähe, sah sie plötzlich ganz klein und verletzlich aus. Nicht einmal zwei Monate waren seit ihrer letzten Begegnung vergangen, doch sie wirkte auf Mathis weitaus älter, reifer, aber auch trauriger, so als wäre irgendetwas in ihr zerbrochen.
»Mathis …«, stammelte sie. »Du? Hier? Aber … aber …«
»Ich erzähl dir alles, Agnes«, unterbrach sie Mathis und umarmte sie kurz und fest. »Alles. Aber nicht jetzt. Jetzt müssen wir erst mal von hier verschwinden.«
»Dieser Meinung bin ich auch.« Melchior, der sich soeben genähert hatte, schob den blutverschmierten Degen zurück in die Scheide und deutete nach hinten, wo im Schein der Lagerfeuer eine immer größere Menge Menschen zu sehen war. Es waren Kinder, Frauen und Männer, aber auch etliche Bewaffnete mit langen Spießen, die offenbar zum Regiment des Profoses gehörten. Sie schrien und schwärmten mit blakenden Fackeln und Laternen in alle Richtungen aus.
»Unsere Gegner hatten offenbar Freunde, die nun nicht besonders gut auf uns zu sprechen sind«, fuhr der Barde fort. »Wie viele Landsknechte birgt dieses Lager? Zehntausend? Es wird wirklich Zeit, sich zu verabschieden. Allez !«
Mathis fasste Agnes an der Hand, und zu dritt rannten sie an den Zelten, Karren und knisternden Feuern vorbei in den nahen Wald, bis das Geschrei hinter ihnen endlich leiser wurde und schließlich ganz verstummte.
KAPITEL 21
Burg Trifels, 14. Juni, Anno Domini 1525
uf seinem Thron im Trifelser Rittersaal saß der Schäfer-Jockel und hielt Gericht.
Vor ihm knieten mit gesenkten Häuptern zwei Bauern und erwarteten demütig sein Urteil. Krähen flogen krächzend an den offenen Fenstern des Palas vorbei, so als erwarteten sie demnächst fette Beute. Ansonsten herrschte eine Stille, die in dem kalten, verrußten Gemäuer fast körperlich spürbar war. Um den aus Weidengeflecht, Leder und Pelz gefertigten Thronsessel standen etwa ein Dutzend weitere Männer, die grimmig und mit verschränkten Armen Jockels Schiedsspruch erwarteten. Sie hatten dieses Femegericht vor einigen Wochen eingeführt, um zu beweisen, dass sie ihre eigenen Herren waren. Doch von Anfang an hatten sie eigentlich nur den Schäfer-Jockel als Herrn angesprochen.
Jockel spielte mit einem silbernen, mit Halbedelsteinen besetzten Pokal und tat so, als würde er nachdenken. Dabei hatte er sein Urteil schon längst gefällt.
»Ihr habt euch ohne Erlaubnis des Bauernrats bei Nacht und Nebel davongemacht, und das, obwohl wir vielleicht gerade vor der letzten, alles entscheidenden Schlacht stehen«, sagte er mit leiser, entschiedener Stimme, während er den funkelnden Pokal in seinen Händen musterte. »Was habt ihr zu eurer Entschuldigung vorzubringen?«
»Herr …«, begann der eine der beiden Angeklagten unterwürfig. Über seiner mageren Brust trug er ein zerschlissenes, fadenscheiniges Hemd, nervös knetete er einen Schlapphut in seinen Händen. »Ich … ich weiß ja nun wirklich nicht, von welcher Schlacht du da sprichst. Doch egal, ob Schlacht oder nicht, wir hab’n uns daheim um die Felder zu kümmern. Die Wildschweine haben mal wieder gewütet und alles zertrampelt, ein teuflischer Sturm hat den Kornschuppen umgeweht, unsere Kinder und Frauen, die schaffen es einfach nicht mehr alleine …«
»Und da habt ihr einfach gedacht, ihr lasst eure Kameraden im Stich und bringt statt der Landsknechte lieber ein paar Sauen um?«, fragte Jockel mit unschuldiger Miene. Einige der umstehenden Männer lachten leise. »Sagt selbst, was soll ich davon halten?«
»Es … es wäre ja nur für ein paar Tage gewesen«, murmelte der andere Bauer. Er starrte auf den von Knochen, Tierkot und Laub verdreckten Steinboden, so als könnte er durch ein Loch direkt in die Hölle sehen. »Danach wären wir sicher wieder zurückgekommen.«
»Und was, wenn in der Zwischenzeit der Pfälzer Kurfürst mit seinen Männern hier aufgetaucht wäre, hä? Habt ihr daran mal gedacht, ihr zwei Schafschädel? Habt ihr überhaupt einmal nicht an euch, sondern an unsere gemeinsame Sache gedacht, verdammt!«
Der Jockel war jetzt aufgesprungen und warf den Pokal zielgenau nach dem zusammengekauerten Bauern mit dem Schlapphut. Der Becher traf den Mann direkt an der Stirn, er sank wimmernd zusammen.
»Wir dürfen jetzt nicht klein beigeben!«, brüllte Jockel. »Nicht jetzt! Das ist es doch, was sie von uns erwarten! Dass wir zu unseren
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