Die Burg der Könige
ließ sich das Todesurteil ja in den darauffolgenden Wochen noch vollstrecken.
Dann, wenn sie endlich gesiegt hatten.
Denn dass die Bauern siegen würden, stand für Jockel noch immer fest. Auch wenn diese zaghaften Lämmer anderer Meinung waren. Was sie allerdings brauchten, war etwas, an das sie glauben konnten. Irgendein Symbol, eine Fahne, unter der sie sich vereinigen würden, um die Herrscher dieser Welt in einem gewaltigen Blutsturm hinwegzufegen.
Jockel sah zu, wie die beiden schluchzenden Verurteilten nun von einigen der anderen Männer weggeschleppt wurden. Dann schnippte er mit den Fingern.
»Führt die nächsten Angeklagten herein«, befahl er. »Und bringt mir schleunigst einen neuen Pokal, gefüllt mit Pfälzer Wein. Dieses Richten macht verflucht durstig.«
***
Hundert Meilen entfernt schob sich ein breiter Kahn langsam durch die Fluten des Rheins. Es war ein tief im Wasser liegendes Lastschiff, das etliche Dutzend Fässer Wein und Salz geladen hatte. Die Fahrt war so langsam, dass Agnes aus Langeweile begonnen hatte, die entgegenkommenden Segelschiffe, Ruderboote und Flöße zu zählen. Unendlich oft hatten sie in den letzten Tagen an den zahlreichen kleinen Zollstationen anlegen müssen, die jede einzelne Grafschaft, jedes Bistum, ja jedes noch so kleine Lehen am Ufer errichtet hatte. Neben Agnes an der Reling stand Mathis. Er gähnte und streckte seine Glieder.
»Zu Fuß wären wir vermutlich schneller gewesen«, wandte er sich seufzend an Melchior von Tanningen, der nun ebenso nach vorne zum Bug gekommen war, wo wenigstens eine kleine Brise wehte. Es ging auf Mittag zu, und die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel.
»Schneller vielleicht, aber nicht sicherer.« Melchior von Tanningen deutete auf die steilen Berghänge zur Linken, die dicht mit Büschen und Bäumen bewachsen waren. »Wir haben keine Ahnung, ob sich nicht auch hier noch plündernde Bauernhaufen versteckt halten. Wie wollt Ihr denen erklären, dass Ihr einer der Ihren seid?«
»Bin ich das denn?«, entgegnete Mathis düster. »Bei all dem Gemetzel auf beiden Seiten bin ich mir da nicht mehr so sicher. Außerdem ist der Kampf doch schon längst entschieden! Die Bauern hier wissen es nur noch nicht.«
»Ich glaube nicht, dass ausgerechnet wir es ihnen sagen sollten«, warf Agnes ein. »Es ist immer der Überbringer der schlechten Nachricht, der als Erster seinen Kopf verliert.«
Auch sie blickte nun gedankenverloren hinüber zum bewaldeten Ufer, während sie sich gleichzeitig fragte, wie es wohl zu Hause auf dem Trifels zugehen mochte. Stand die Burg ihres Vaters noch? War sie gestürmt worden oder vielleicht sogar niedergebrannt?
Zehn Tage war es nun her, dass sie sich gemeinsam vom fränkischen Dorf Ingolstadt aus auf den Weg nach Westen gemacht hatten. Fast hundertfünfzig Meilen hatten sie bislang zu Fuß und mit dem Schiff zurückgelegt, durch ein Land, das noch immer in Flammen stand. Aus Rache hatten viele der örtlichen Lehnsherren die Dörfer ihrer Untertanen abgefackelt. Gefangene Aufrührer wurden geköpft, verbrannt, von Pferden in Stücke gerissen oder geblendet. Doch noch immer gaben die Bauern in einigen Landstrichen nicht auf; im Norden der Pfalz, aber auch nahe den Alpen hielten sich hartnäckig Widerstandsnester. Agnes war froh, dass sie es ohne Hinterhalte und andere Hindernisse bis zum Rhein geschafft hatten. Hinter Mainz hatten die Gerüchte über Aufstände und Strafaktionen dann allmählich aufgehört. Trotzdem waren sie weiterhin auf der Hut.
Um jede unnötige Gefahr zu vermeiden, hatte Agnes sich die Haare kurz geschnitten und Männerkleidung angezogen. Ein weiter, viel zu warmer Mantel verbarg ihre Brüste. Auch Melchior hatte ein schlichteres Wams erstanden, so dass sie nun alle drei wie fahrende Handwerksgesellen oder Musikanten aussahen. Als solche hatten sie auch für nur wenig Geld die Passage auf dem Frachter ergattert, der sie nun zu ihrem langersehnten Ziel bringen sollte.
Sankt Goar.
Melchior hatte heute Morgen mit den Schiffern geredet und so erfahren, dass sie den Ort bereits heute Nachmittag erreichen würden. Noch immer wusste Agnes nicht, was sie dort zu finden hoffte. Aber sie fühlte, dass sie diese Reise machen musste, wenn sie irgendwann wieder ruhig und traumlos schlafen wollte – und sie war froh, dass Melchior und Mathis sie begleiteten. Besonders Mathis war in den letzten Tagen sehr fürsorglich zu ihr gewesen. Agnes hatte ihm zwar nichts von den alptraumhaften
Weitere Kostenlose Bücher