Die Burg der Könige
vom Ring! Mutter seufzt und verdreht die Augen. Immer wieder diese eine traurige Geschichte, Agnes. Bist du sie nicht langsam leid? Komm, ich erzähl dir lieber vom roten Ritter und … Nein, von Constanza, ich will von Constanza und dem Ring hören! Bitte, bitte! Ich zapple und greine, bis die Mutter schließlich nachgibt …
»Es muss Leute gegeben haben, die von Anfang an wussten, dass Agnes nicht ein Kind der Erfensteins war«, überlegte Mathis laut und riss Agnes damit aus ihren Gedanken. »Die Alten in der Burg vermutlich. Die Köchin Hedwig und auch der gute Ulrich Reichhart. Vor seinem Tod hat er so etwas angedeutet. Und dann dieser elende Schreiber Heidelsheim, wahrscheinlich hat auch er davon gewusst.«
Agnes schwieg weiter, gefangen in ihrer Vergangenheit. Erst nach einer Weile schüttelte sie sich und musterte die Mönche, die sie gemeinsam mit Pater Domenicus abwartend anstarrten. Noch immer schienen sie auf etwas zu warten.
»Nun gut, selbst wenn das alles so ist, wie Ihr erzählt habt«, wandte sie sich mit brüchiger Stimme an den Dekan. »Wenn ich also wirklich von Kaiser Barbarossa abstammen sollte … Was ist das schon mehr als eine schöne Geschichte? Warum interessiert Ihr Euch so sehr dafür?«
Der Dekan lachte leise. »Eine schöne Geschichte, fürwahr! Wisst Ihr, welche Kraft Geschichten haben können, Agnes? Gerade in Zeiten wie diesen. Was glaubt Ihr wohl, warum die Habsburger nun schon zum zweiten Mal versuchen, Euch zu finden? Weil die Menschen an Geschichten glauben wollen! Das Reich brennt an allen Ecken und Enden. Die Leute gieren nach trostspendenden Mythen, nach jemandem, auf den sie all ihre Hoffnungen und Sehnsüchte setzen können.« Er machte eine kurze Pause, bevor er lächelnd weitersprach: »Ihr seid so jemand, Agnes von Erfenstein, Nachfahrin der Staufer. Doch nur dann, wenn Ihr Euer Erbe, das an Symbolkraft kaum zu überbieten ist, tatsächlich annehmt.«
»Was … was meint Ihr damit?«, fragte Agnes stirnrunzelnd. »Welches Erbe?«
»Nun, so hört«, erwiderte Pater Domenicus. »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ihr müsst …«
In diesem Moment öffnete sich krachend die Tür. Agnes schrie erschrocken auf, als sie sah, dass der leibhaftige Teufel die unterirdische Kammer betreten hatte.
Gleich darauf brach die Hölle über sie alle herein.
Auch Mathis fuhr herum, als er das Krachen hörte. Noch immer war er ganz verwirrt von all den merkwürdigen Neuigkeiten, die der Dekan ihnen berichtet hatte. Seine Verwirrung schlug um in Entsetzen, als er die Gestalt erblickte, die nun im Raum stand. Es war ein Mann, dessen Gesicht schwarz schimmerte wie die Nacht. Auch sein staubiger Mantel war schwarz, die Beinlinge hingegen waren blutrot. Der Fremde hatte die Tür mit dem Fuß aufgetreten, in beiden Händen hielt er je eine Faustbüchse, deren Abzugshaken gespannt waren.
Es sind tatsächlich Radschlosspistolen! , fuhr es Mathis durch den Kopf. Das kann kein einfacher Räuber sein. Diese Waffen sind ein Vermögen wert!
Vor Furcht und Verblüffung wie versteinert starrte er auf die zwei Pistolen, die er bislang nur von Zeichnungen her kannte. Nun sollte er sie in Wirklichkeit erleben.
Aus dem Augenwinkel heraus konnte Mathis eben noch sehen, wie sich Melchior von Tanningen vor Agnes warf. Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, dicht gefolgt von einem Schrei. Neben Mathis brach stöhnend der Dekan zusammen, aus seiner rechten Schulter quoll stoßweise das Blut. Eine der Kugeln musste ihn getroffen haben.
»Den Ring«, stöhnte Pater Domenicus und versuchte sich aufzurichten. »Rettet den Ring und die Urkunde. Sie dürfen … nicht … in falsche Hände geraten …«
Wie kopflose Hühner rannten die Mönche schreiend hin und her, suchten in dunklen Nischen oder hinter den Regalwänden Schutz, wo sie sich auf den Boden warfen. Einer von ihnen klammerte sich an eines der schweren Gerüste, woraufhin dieses langsam nach vorne kippte und krachend umfiel. Ein Regen von Büchern, Pergamentrollen und losen Seiten ging über Mathis und Agnes nieder. Im allgemeinen Chaos kroch Mathis unter den schweren Eichentisch, dicht gefolgt von Agnes, die ihre plötzliche Schwäche mittlerweile überwunden zu haben schien.
»Vorsicht, der Hund schießt erneut!«
Es war Melchior von Tanningen, der plötzlich neben ihnen aufgetaucht war. Er stemmte sich ächzend gegen die mächtige Platte des Tisches, bis das Möbelstück auf die Seite fiel und so als Schutzschild diente.
Ein
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