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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Agnes sah nicht weit von sich entfernt, wie Mathis sich aus den rauchenden Trümmern erhob. Er war kohlrabenschwarz im Gesicht, seine Kleidung hatte an einigen Stellen zu kokeln begonnen, doch ansonsten schien er unversehrt. Zwischen ihnen beiden lagen Balken, glimmende Bücher und Überreste des Balkons, der sich noch bis vor kurzem über dem Eingang befunden hatte. Von Pater Domenicus war nichts mehr zu sehen.
    »Mein Gott, der Dekan …«, hauchte Agnes.
    »Ist bei seinem Herrgott«, unterbrach sie Mathis. Dann stieg er zu ihr herüber und schob einige der Trümmer mit dem Fuß beiseite. »Und wenn wir uns nicht beeilen, sind wir auch bald im Paradies.« Hustend hielt er Pater Domenicus’ Schlüsselbund hoch, den er im letzten Moment noch vor den herabstürzenden Trümmern hatte retten können. »Die verdammte Türe geht nach innen auf. Wir müssen also die Trümmer …«
    Er brach ab, als plötzlich eine rußschwarze Gestalt durch das unterirdische Gewölbe auf sie beide zuwankte. Der Mann trug einen so hohen Stapel Bücher, dass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Erst wenige Schritte vor ihnen sah Agnes, dass es sich tatsächlich um Melchior von Tanningen handelte.
    »Gott sei gesegnet!«, rief sie aus. »Ich dachte schon, dieser schwarze Teufel hätte Euch mit in den Abgrund gerissen.«
    »Wenn ich die Explosion richtig deute, ist er soeben zurück in die Hölle gefahren«, entgegnete Melchior, der unter der Last der Bücher ein wenig schwankte. »Er hätte meine Laute nicht zerstören sollen. Ich habe es ihm deutlich gesagt.«
    »Ihr könnt uns alles Weitere gerne oben erzählen!«, fuhr Mathis dazwischen. »Jetzt wäre es freundlich, wenn Ihr uns zunächst helfen würdet, die Trümmer hier wegzuräumen.« Kopfschüttelnd sah er auf den Stapel Bücher in den Händen des Barden. »Was um Himmels willen tragt Ihr da überhaupt?«
    »Das ist Wolfram von Eschenbachs ›Parcival‹, in einer wunderschön bebilderten Ausgabe. Außerdem eine Sammlung alter Minnelieder, Kaiser Maximilians Turnierbuch ›Freydal‹ und noch ein paar Werke, die es verdient haben, für die Nachwelt gerettet zu werden.« Melchior seufzte. »Aber Ihr habt recht. Es wird Zeit, von hier zu verschwinden.« Vorsichtig legte er die Bücher auf den Boden, dann half er Agnes und Mathis, die brennenden Balken nahe der Tür beiseite­zuschieben. Es dauerte nicht lange, dann war der Platz so weit freigeräumt, dass Mathis sich mit dem Schlüsselbund dem Schloss nähern konnte.
    »Wollen hoffen, dass wir auf Anhieb den richtigen finden, bevor uns der Rauch die Sinne vernebelt«, keuchte er. Enttäuscht zog er den ersten Schlüssel wieder heraus. »Der ist es schon mal nicht.«
    »Mach schnell!« Agnes hustete, mit tränenden Augen starrte sie auf den Haufen glimmender Balken neben sich, unter dem sich die Leiche des Dekans befinden musste. »Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Qualm und die Hitze noch ertrage!«
    »Der ist es auch nicht«, murmelte Mathis. Hektisch versuchte er einen weiteren Schlüssel.
    »Auch ich habe so einen Schlüsselbund ergattern können«, warf Melchior ein. »Vielleicht sollte ich einmal …«
    »Ha, der passt!« Mathis schrie erleichtert auf, als einer der Schlüssel sich drehen ließ und die Tür sich quietschend öffnete. »Und jetzt raus hier! Bevor noch alles einstürzt!«
    Gemeinsam hasteten Agnes und Mathis die steile Wendeltreppe nach oben, während der Rauch ihnen folgte wie ein wabernder Geist. Melchior hatte mittlerweile wieder seine Bücher gepackt und folgte ihnen in einigem Abstand. Mit jeder Stufe wurde die Luft merklich kühler und frischer; es war, als würden sie wie Orpheus der Unterwelt entsteigen. Erleichtert atmete Agnes aus, als sie über sich endlich die türgroße Öffnung sah, die in die Taufkapelle führte. Offenbar hatten die fliehenden Benediktinerchorherren in ihrer Hast das Grab Diethers von Katzenelnbogen nicht wieder verschlossen.
    »So viel verlorenes Wissen!«, seufzte hinter ihr Melchior von Tanningen. »Es ist wirklich eine Schande! Eine derartige Bibliothek gibt es meines Wissens im gesamten Deutschen Reich nicht mehr.«
    »Ich hoffe, Ihr habt wenigstens ein paar besonders wertvolle Exemplare retten können«, erwiderte Mathis, der mittlerweile den Ausgang erreicht hatte.
    Melchior schmunzelte. »Das dürft Ihr annehmen. Nicht, dass ich sie verkaufen wollte, aber jedes dieser Bücher ist so viel wert wie ein Dutzend reinrassige Pferde.«
    Mathis sah den Barden verblüfft an.

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