Die Burg der Könige
Der Vogel flatterte noch einmal wild; er schien seinen Tod nicht akzeptieren zu wollen, stieg noch ein paar Flügelschläge empor, dann stürzte er wie ein Stein in die Tiefe, wo er schließlich zwischen den Kornähren verschwand.
»Hab dich, kleiner Freund«, sagte der Graf und lächelte.
Erst jetzt wagte er auszuatmen. Mit einem Summen auf den Lippen spannte er die Sehne der Armbrust aus und verstaute sie zusammen mit den übrigen Bolzen und dem Spannhaken in einem gut gefetteten Lederfutteral. Liebevoll strich Friedrich von Scharfeneck über die Elfenbeinintarsien an der Waffe aus Eibenholz, bevor er auch sie zur Seite legte. Er hatte das Armbrustschießen immer geliebt, das Sirren, den lautlosen Flug, die tödliche Präzision, mit der der Bolzen schließlich sein Ziel fand. Die Armbrust war ihm stets lieber gewesen als diese lauten, stinkenden Feuerwaffen, die mittlerweile überall die Kämpfe bestimmten. Jeder tölpelhafte Bauer konnte so ein Rohr entzünden und dem Feind entgegenhalten; für die Armbrust hingegen brauchte man Kraft beim Spannen, gute Augen und vor allem viel, viel Übung.
Zurzeit übte Friedrich von Scharfeneck fast täglich.
Sein Herz schlug schneller, als er daran dachte, wie er letztes Jahr diesen neugierigen Trifelser Schreiberling wie einen Rehbock erlegt hatte. Noch lange danach hatte ihn das Gefühl absoluter Macht durchströmt. Dabei war der Mord kein reines Vergnügen gewesen, sondern schlicht notwendig, da der Mann sonst zu früh geplaudert hätte. Der darauffolgende Mord an dem versoffenen Burgvogt hatte Friedrich dagegen keine rechte Befriedigung verschafft; die Wirkung des Giftes war schleichend gekommen, es fehlte der Kitzel, wenn einem das Opfer das letzte Mal in die Augen sah.
Da war die Armbrust schon besser.
»Das hätte ich mir denken können, dass du hier oben bist und Löcher in die Luft starrst. Du Taugenichts!«
Die Stimme seines Vaters ließ Friedrich herumfahren. Schnaufend und gestützt auf einen Stock kam der Alte die Treppe vom Burghof emporgestiegen. Allein sein Anblick verursachte dem jungen Grafen Magengrimmen. Er musste daran denken, wie oft ihn sein Vater seit frühester Kindheit mit Hänseleien und Schmähungen gequält hatte.
»Ich denke nach«, erwiderte Friedrich kühl. »Das solltest du auch gelegentlich tun.«
»Ha, nachdenken! Seit Wochen machst du nichts anderes als nachdenken! Wenn du wenigstens auf die Jagd gehen würdest wie andere Nichtsnutze deines Alters, aber nein, der junge Herr baut Luftschlösser, während ein paar Bauerntölpel es sich in seiner Burg gemütlich machen.«
Friedrich verdrehte die Augen. »Auch deine Pfälzer Burg ist gebrandschatzt worden, Vater. Vergiss das nicht. Du hast Neuscharfeneck nur wieder, weil die Bauern dort mittlerweile aufgegeben haben.«
»Weil sie mich fürchten, darum! Ich an deiner Stelle hätte mir jedenfalls schon längst ein paar Männer geschnappt und mir mein Eigentum zurückgeholt.«
»Du weißt, dass das nicht so einfach ist«, brachte Friedrich mühsam zwischen den Zähnen hervor. Unbewusst griffen seine Hände wieder zu der Armbrust, die noch immer auf der Zinne lag. Die Finger spielten mit dem Abzug.
Nur ein weiterer Bolzen. Nur ein kurzes Klicken …
»Diese Hunde haben sich im Trifels verkrochen, und der ist, wie du weißt, weitaus schwerer einzunehmen als die umliegenden Burgen«, fuhr Friedrich schließlich fort. »Willst du etwa, dass ich mich vor aller Augen blamiere, wenn ich vor den Mauern meines Hab und Guts stehe und mir die Bauern auf den Kopf scheißen?« Er funkelte seinen Vater zornig an. »Außerdem habe ich einfach kein Geld mehr, um mir Landsknechte zu leisten. Du Geizhals willst mir ja keines mehr geben!«
Der alte Graf runzelte die Stirn. »Pass auf, wie du mit mir redest, Friedrich! Ich bin immer noch dein Vater.« Er fuchtelte mit dem Stock in der Luft herum. »Für diesen alten Kasten vergeude ich mein Geld jedenfalls nicht! Als ich in deinem Alter war, nannte ich bereits drei Burgen mein Eigen, und das waren keine baufälligen Ruinen wie dieser Trifels, der seine beste Zeit längst hinter sich hat. Ich habe ohnehin nie verstanden, was du an dem alten Gemäuer findest. Der Schatz der Normannen, ha! Luftschlösser sind das, wie ich eben schon sagte …«
Mit starrem Blick sah Friedrich von Scharfenberg hinaus auf die Felder, während sein Vater weiterlamentierte. Er hatte es so satt! Am liebsten hätte er den Alten einfach über die Zinnen geworfen, um dem
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