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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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und da leblose Arme und Beine herausragten. Dort an der Westwand, wo der Jockel gerade noch gestanden hatte, klaffte nun ein großes Loch, an dessen Rändern winzige Knochenteilchen und Blutspritzer zu sehen waren. Mathis zuckte zusammen, als er unter einem Steinquader eine rote breiige Masse hervorquillen sah.
    Mehr war vom Schäfer-Jockel nicht übrig geblieben.
    »Ma… Mathis …?«
    Er fuhr herum, als er Agnes’ schwache Stimme irgendwo im Raum vernahm. Es dauerte eine Weile, bis Mathis sie endlich in dem Chaos gefunden hatte. Agnes kauerte im offenen Kamin, dem einzigen Ort im Rittersaal, der vom Einsturz verschont geblieben war.
    »Mein Gott, du lebst!«
    Gleichzeitig lachend und weinend kämpfte Mathis sich durch die Trümmer, bis er endlich am Kamin angelangt war. Hastig zerschnitt er seine Fesseln an einer scharfen Steinkante, dann schloss er Agnes endlich in die Arme. Beide waren sie über und über mit Staub und Asche bedeckt, sie glichen eher Gespenstern denn Menschen.
    Eine Weile sagte keiner etwas. Schließlich löste sich Mathis von Agnes und befreite sie auch von ihren Fesseln.
    »Ich habe wirklich geglaubt …«, hob er an, doch Agnes brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
    »Hör zu«, flüsterte sie aufgeregt und klammerte sich an ihn. Alles Rätselhafte war von ihr gewichen, sie war nun wieder ganz das Mädchen, das er liebte und begehrte. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo die Heilige Lanze ist«, fuhr sie leise fort. »Als der Jockel vorher so wirr dahergeredet hat, da ist es mir klargeworden. Sie ist nicht auf dem Trifels, sondern ganz woanders!« Ein heiseres Keuchen entwich ihrer Kehle, von dem Mathis nicht sagen konnte, ob es ein Lachen oder Weinen war.
    »Die Zeichnung!«, hauchte Agnes. »Schon unten in der Kammer mit den Kaisern und Königen kam sie mir so bekannt vor. Doch erst jetzt bin ich mir sicher! Die Ohnmacht, die ich im Kerker gespürt habe, dieses Gefühl, von meinen Ahnen beobachtet zu werden, das alles habe ich schon einmal an einem anderen Ort empfunden!«
    Mathis schüttelte den Kopf und drückte sie noch einmal fest an sich. »Agnes, wach auf! Es ist mir ganz egal, wo diese Lanze ist, verstehst du? Alles, was ich brauche, bist du! Ich habe schon viel zu lange …«
    Er brach ab, als er hinter sich das Geräusch knirschender Schritte vernahm. Da er mit dem Rücken zur Treppe stand, war es Agnes, die die beiden Besucher als Erste sah. Leise schrie sie auf.
    »Mein Gott, Mathis«, flüsterte sie. »Sag, dass das nicht wahr ist. Sag, dass ich träume!«
    Zitternd wandte sich Mathis um.
    Wenn es ein Traum war, dann eher ein Alptraum.

KAPITEL 23
    Burg Trifels, 24. Juni, Anno Domini 1525
    ls Agnes den Grafen zusammen mit Melchior von Tanningen im Treppenaufgang zum Rittersaal erblickte, war sie einen Augenblick noch wie in Trance. Der Gedanke, dass sie nun endlich wusste, wo die Heilige Lanze verborgen war, ließ sie alles andere wie durch eine trübe Linse wahrnehmen. Doch dann ver­schwand die Benommenheit, und sie begann Einzelheiten zu erkennen.
    Einzelheiten, die sie mehr und mehr beunruhigten.
    Es war nicht so sehr das böse Grinsen im Gesicht ihres Gatten, das nervöse Zucken um seine Mundwinkel, welches sie stutzig machte. Viel beängstigender waren die Veränderungen, die sie an Melchior von Tanningen bemerkte. Zunächst glaubte sie, der Barde sei gefesselt. Doch dann sah sie seinen Degen, der noch immer lose am Gürtel hing, und ihr fiel der selbstsichere Blick auf, die herrschaftliche Art, mit der Melchior voranschritt, ganz so, als wäre der Graf der Untergebene und nicht er. Sie spürte das stille Einvernehmen, das zwischen den beiden Männern ganz offensichtlich herrschte.
    Melchior von Tanningen hielt den Kopf schräg und musterte lächelnd das Liebespaar, das noch immer vor dem Kamin im Rittersaal stand. Dazwischen türmten sich die Trümmer der eingestürzten Decke, eine feine Wolke Steinstaub lag in der Luft. Nach einer Weile des Schweigens deutete der zierliche Barde eine Verbeugung an.
    »Seid gegrüßt, Jungfer Agnes«, sagte er im ruhigen, höf­lichen Tonfall. »Lasst Euch von uns nicht stören und sprecht ruhig weiter. Euer Gespräch war gerade sehr aufschlussreich.«
    Mathis’ Augen huschten zwischen Melchior und Friedrich von Scharfeneck hin und her. Auch er schien die Vertrautheit der beiden wahrzunehmen.
    »Melchior, wie … wie darf ich das verstehen?«, murmelte er, noch immer benommen von der Wucht der Explosion. »Offenbar seid Ihr den

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