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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Häschern des Grafen in die Falle gegangen. Ihr … Ihr seid sein Gefangener, nicht wahr?«
    Der Barde schwieg. Nur eine winzige Regung seiner Lippen zeigte, dass ihn Mathis’ Frage zu amüsieren schien. Agnes stockte der Atem. Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich Melchior von einem guten Freund in einen unheimlichen Fremden. War das möglich? Sie musste an all die Abenteuer denken, die sie gemeinsam erlebt hatten, an all die schönen und hässlichen Momente. Melchior war ihr mit seiner exaltierten, drolligen Art ans Herz gewachsen, er hatte für sie gekämpft und ihr in Sankt Goar das Leben gerettet. Und jetzt?
    Eine schreckliche Ahnung machte sich in ihr breit.
    Das kann nicht sein. Sollte ich mich wirklich so getäuscht haben?
    Sie erinnerte sich an winzige Kleinigkeiten, die erst jetzt, im Rückblick, einen Sinn ergaben. Melchiors Interesse am Ring und an den alten Geschichten, sein beträchtliches Wissen über Sankt Goar und die Heilige Lanze, der Plan, mit ihr zu einem Sängerwettstreit auf die Wartburg zu ziehen, seine für einen Barden bemerkenswerten Fechtkünste … Noch einmal sah sie hinüber zu Melchior, der nun den Blick senkte und in einer Geste des Bedauerns mit den Schultern zuckte. Nun wurde die Ahnung zur Gewissheit.
    Wir waren so dumm! So furchtbar dumm!
    »Nun, es ist wohl an der Zeit, dass ich einiges richtigstelle«, erwiderte Melchior schließlich und räusperte sich verlegen. »Es mag da das eine oder andere Missverständnis geben, was meine Beziehung zu seiner Exzellenz, dem Herrn Grafen, angeht.« Neben ihm stand Friedrich von Scharfeneck, um dessen Lippen ein maliziöses Lächeln spielte.
    »So sieht man sich also wieder, Agnes«, zischte der Graf. »Und meinen Nebenbuhler gleich dazu. Es wird mir eine besondere Freude sein, ihm den Bauch aufzuschlitzen und die Eingeweide herauszuziehen, während du dabei zusiehst.«
    Als Friedrich bemerkte, mit welchem Entsetzen Agnes weiterhin den zierlichen Barden musterte, wandte er sich seufzend an Melchior.
    »Ich fürchte, meine geliebte Gattin erlebt gerade eine herbe Enttäuschung. Wobei ich sagen muss, dass Ihr Eure Rolle wirklich gut gespielt habt, von Tanningen. Auch ich habe bis zum Schluss nicht geahnt, warum der Kaiser Euch zu mir geschickt hat. Wollt Ihr uns aufklären?«
    »Der Kaiser? Welche … welche Rolle?« Mathis schien erst jetzt wieder zu einer Äußerung fähig, sein zerschlagenes Gesicht war kalkweiß. »Ich verstehe nicht …«
    »Ich denke, ich schon«, erwiderte Agnes und straffte sich. Sie versuchte, ihre Furcht und ihre Enttäuschung zu ver­bergen, trotzdem zitterte sie leicht. Unten im Kerker hatte eine andere, stärkere Frau aus ihr gesprochen. Doch nun, hier oben im zerstörten Rittersaal, fühlte sie sich wieder klein und verletzlich. Umso mehr, da sie jetzt wusste, wie sehr sie das ganze letzte Jahr über getäuscht worden war.
    »Der Kaiser hat einen Agenten ausgeschickt, um mich zu finden und zu töten«, fuhr sie mit bebender Stimme fort. »Und dieser Agent heißt Melchior von Tanningen. Nicht wahr? Wenn das überhaupt Euer richtiger Name ist.«
    »Warum denkt Ihr nur so schlecht von mir?« Bedauernd schüttelte Melchior den Kopf, und Agnes hatte kurz den Eindruck, er würde es tatsächlich ernst meinen. Doch dann wurde ihr wieder bewusst, was für ein guter Schauspieler der Barde sein musste.
    Er hat mit uns gespielt wie mit Puppen …
    »Natürlich ist Melchior von Tanningen mein richtiger Name«, sagte er seufzend. »Und ich stamme auch wirklich aus einem fränkischen Rittergeschlecht. Der Graf kann es bezeugen. Ich bin ein wahrhaftiger Ehrenmann! Das Ganze ist, nun ja … äußerst bedauerlich.«
    Um seine Schultern hing noch immer die neue Laute aus poliertem Ahornholz. Erst jetzt nahm er sie ab, schlug einen letzten traurigen Akkord und stellte sie dann vorsichtig in eine Ecke.
    »Wirklich äußerst bedauerlich«, wiederholte er.
    Friedrich von Scharfenecks Augen ruhten derweil unverwandt auf Agnes. Er schien den Barden überhaupt nicht gehört zu haben.
    »Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet«, sagte der Graf leise, wie zu sich selbst. »In meinen Träumen habe ich dich gesehen, Agnes. Schön wie ein blutroter Sonnenaufgang, schreiend, dich windend vor Schmerzen. Und nun stehst du tatsächlich vor mir!« Er grinste. »Wir werden ein paar wunderbare und vor allem sehr, sehr eindrückliche letzte Stunden miteinander verbringen.«
    Agnes fühlte, wie Todesangst sie erfasste. Friedrich war schon

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