Die Burg der Könige
Gebeinen. Wir müssen ihr ein würdiges Begräbnis bereiten!«
Einen kurzen Moment sah es tatsächlich so aus, als würden die Bauern vor Ehrfurcht niederknien. Doch dann ertönte Jockels meckerndes Lachen, und der Augenblick war vorüber.
»Ich pisse auf deine Vorfahren, Grafenflittchen!«, schrie der Bauernführer. »Ich pisse auf dich und dein pfaffenhaftes Gehabe! Wir sind nicht mehr deine Untergebenen, diese Zeit ist lange vorbei!« Mit dem Fuß trat er gegen die bleichen Knochen, so dass sie in alle Richtungen flogen. »Was ich brauche, ist kein Begräbnis, sondern ein Gang, der mich hier rausführt!« Er packte Agnes so heftig an der Kehle, dass sie zu würgen begann. Trotzdem war ihr Blick nach wie vor fest und ohne Furcht. »Sag, gibt es diesen Gang?«, krakeelte der Jockel. »Sprich schon, bevor ich dir so weh tue, wie dir noch nie jemand weh getan hat! Na, was ist …«
»Es … es gibt keinen Gang, aber es gibt etwas anders!«, fiel ihm Mathis ins Wort. »Einen … einen heiligen Gegenstand. Er ist sehr wertvoll! Wir haben gehofft, dass wir hier unten einen Hinweis auf ihn finden. Du kannst ihn haben, wenn du uns freilässt!«
»Hä?« Jockel ließ Agnes los, die keuchend zu Boden stürzte und dort benommen liegen blieb. Argwöhnisch starrte der Bauernführer Mathis an. »Was sagst du da?«
Die drei übrigen Bauern hatten sich in der Zwischenzeit noch keinen Fußbreit vom Rand der Kammer wegbewegt. Es sah aus, als wüssten sie nicht, vor was sie mehr Angst haben sollten: vor dem Geschützdonner über ihnen oder vor der unheimlichen Kammer und dieser Frau, die wie ein Geist zu ihnen sprach.
»Es geht um die Heilige Lanze«, wandte sich Mathis an Jockel und hob beruhigend die Hände. »Gib mir ein wenig Zeit, und ich erkläre dir alles.«
»Ich gebe dir genau so viel Zeit, bis dort oben die nächste Kugel einschlägt. Also beeil dich gefälligst. Und bei Gott, wag es nicht, mir einen Bären aufzubinden!«
Mathis atmete tief durch, dann erzählte er dem Schäfer-Jockel in kurzen Worten von Constanza, vom damaligen Diebstahl der Lanze und von der schrecklichen Strafe, die sich die Habsburger damals für Constanza hatten einfallen lassen. Wie er und Agnes dieses Wissen erlangt hatten und dass Agnes eine direkte Nachfahrin der Staufer war, ließ er dabei weg. Die Heilige Lanze war für den Jockel ohnehin mehr wert als diese uralte Geschichte. Währenddessen kauerte Agnes wie in Trance an der Wand der Kammer.
»Und diese Lanze ist wirklich so mächtig?«, wollte der Jockel schließlich wissen.
Mathis nickte. »Sie ist die mächtigste Reliquie der Christenheit. Es heißt, sie mache unbesiegbar. Mit ihr ist in der Vergangenheit so manche Schlacht gewonnen worden. Vielleicht in naher Zukunft auch die der Bauern«, fügte er verschwörerisch hinzu. »Wie klingt das, Jockel? Du als Anführer eines Bauernheeres, in deiner Hand die Heilige Lanze? So könntest du den Kampf vielleicht doch noch für unsere Seite entscheiden …«
Er machte eine Pause und beobachtete den Jockel, dem die Gier in den Augen stand. Mathis wusste nicht, ob der Bucklige wirklich glaubte, die Lanze würde ihn zum Führer über alle Bauern machen, oder ob es nur die Aussicht auf einen wertvollen Schatz war – jedenfalls biss sich Jockel nachdenklich auf die Lippen. Er linste hinüber zu seinen drei Begleitern, die ihn wie den leibhaftigen Messias anstarrten, schließlich rang er sich zu einer Antwort durch.
»Nun gut, nun gut, das klingt zumindest interessant«, begann der Jockel zögerlich. Er zuckte zusammen, als über ihnen eine weitere Steinkugel im Palas einschlug. »Aber ich sehe hier keine Lanze. Nur ein paar Knochen und verblichene Gemälde. Wo also ist sie, diese ach so mächtige Waffe?«
»Du Narr, hast du nicht zugehört? Constanza und Johann haben sie versteckt!« Es war Agnes, die nun auch wieder sprach. Sie hatte sich erhoben und stand aufrecht wie eine Herrscherin in der Mitte des Raums, um sie herum die verstreuten Knochen ihrer Vorfahrin. Mathis schluckte, als er Agnes so sah. Es schien, als hätte Constanzas Grab sie in einen anderen Menschen verwandelt. Agnes wirkte plötzlich wesentlich älter und reifer, sie sah aus wie eine leibhaftige Königin. Selbst der Jockel war so verblüfft, dass er zunächst nichts erwiderte.
»Dies hier ist die geheime Kammer, in der früher in unsicheren Zeiten die Reichskleinodien versteckt wurden«, fuhr Agnes fort, und ihre Stimme hallte durch das Gemäuer. Sie breitete die
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