Die Burg der Könige
zu hören glaubte. Ich glaubte, die Burg würde zu mir sprechen, doch es war wohl eine Erinnerung an die Geschichten meiner Mutter. Merkwürdig nur, dass …«
»Schluss jetzt mit diesem Unsinn!«, unterbrach sie Friedrich. »Wir wollen wissen, wo die Lanze ist. Alles andere interessiert nicht.«
»Die Heilige Lanze, natürlich.« Agnes schloss kurz die Augen. Sie war so müde, so unendlich müde. Nicht mehr lange, dann würde dieser Alptraum ein Ende haben.
Und ich kehre heim zu meiner Mutter. Heim zu meinem Stiefvater. Heim zu Constanza …
»Der Schäfer-Jockel hat mich auf die richtige Spur gebracht«, fuhr sie schließlich fort. »Er war davon überzeugt, dass die Heilige Lanze irgendwo im Trifels versteckt ist. Er hat die Zeichnung mit den Türmen unten im Saal der Kaiser gesehen und sofort an eine Burg gedacht. Vermutlich dachte er, dass der Trifels früher mal zwei Türme hatte. Doch der Trifels hatte immer nur einen Turm. Außerdem mussten Constanza und Johann die Lanze ja irgendwo auf ihrer Flucht versteckt haben. Die Burg kommt also nicht in Frage.«
»So weit kann ich Euch folgen«, sagte Melchior, der die ganze Zeit interessiert zugehört hatte. »Aber was stellt die Zeichnung dann dar?«
Agnes lächelte matt, dann kniete sie sich nieder und malte in den Staub exakt die Zeichnung, die sie unten in der Krypta gesehen hatte.
»Es ist keine Burg«, erklärte sie. »Seht Ihr die spitz zulaufende Kuppel in der Mitte? Es ist eine große Kirche, vielmehr ein Dom. Schon unten hatte ich eine Ahnung, um welchen Dom es sich handelt. Doch das Gebäude, an das ich sofort dachte, hat vier Türme und zwei Kuppeln. Ebenso wie der Jockel machte ich jedoch den Fehler, nicht zu beachten, dass Constanza diese Skizze am Ende ihrer Kräfte und in fast absoluter Dunkelheit gezeichnet hat. Der Dom ist exakt von vorne dargestellt. Deshalb ist nicht mehr zu sehen.« Agnes sah die anderen abwartend an. »Ich kenne jedenfalls nur einen Dom, der von vorne so aussieht. Erst letztes Jahr habe ich ihn mit meinem Vater besucht.«
»Der Speyerer Dom!« Mathis stöhnte leise. Fassungslos starrte er auf die Zeichnung am Boden. »Natürlich! Erst vor ein paar Tagen sind wir noch an ihm vorbeigegangen. Er sieht von vorne tatsächlich so aus! Außerdem ist Ritter Johann in Speyer von seinen Häschern aufgegriffen worden. Gut möglich also, dass er die Lanze vorher im Dom versteckt hat. Aber der Spruch …«
»Der Ort, an dem alle Feindschaft endet«, unterbrach ihn Agnes. »Zuerst dachte ich, dass einfach der Dom dieser Ort sein muss, der Ort völligen Friedens. Doch dann erinnerte ich mich an all die Kaiser und Könige in der Kammer unter dem Trifels. An die Salier, Welfen, Staufer und Habsburger. Viele waren einander in Feindschaft verbunden, ein jeder wollte die Krone für seine Familie, für seine Dynastie. Aber es gibt einen Ort, an dem diese Feindschaft endet.« Sie machte eine kleine Pause, bevor sie fortfuhr. »Und dieser Ort befindet sich mitten im Speyerer Dom.«
Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, während Agnes’ Worte durch den zerstörten Saal hallten. Es war Melchior von Tanningen, der sich schließlich lachend den anderen zuwandte.
»Die Kaisergruft!« Der Barde klatschte begeistert in die Hände, eine Geste, die zwischen all den Trümmern und Toten seltsam fremd anmutete. »Grandios! Ein besseres Versteck gibt es wirklich nicht! Der Ort, an dem alle Feindschaft endet! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen!«
Agnes nickte. »Als sich Johann und Constanza auf der Flucht trennten, muss der Welfe seiner Frau erzählt haben, was er mit der Lanze vorhat. Die Speyerer Kaisergruft war schon damals weit über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannt.«
»Die Kaisergruft?« Der Graf sah Melchior und Agnes irritiert an. »Ich verstehe nicht …«
»Nun, im Speyerer Dom stehen die Särge von gleich acht deutschen Königen und Kaisern«, erklärte Agnes. »Salier sind darunter, aber auch Staufer und Habsburger, etwa Philipp, der Sohn Barbarossas, oder Kaiser Rudolf von Habsburg …«
»Außerdem noch ihre Ehefrauen und einige Bischöfe«, fuhr Melchior dazwischen. »Einst waren sie verfeindet, doch nun liegen sie artig nebeneinander. Insgesamt sind es, glaube ich, an die zwanzig Sarkophage. Nun, das bedeutet einen ganzen Haufen schmutzige Arbeit.« Er sah hinüber zu den drei Landsknechten. Mit einem Wink gab er ihnen zu verstehen, näher zu kommen.
»Der junge Meister Wielenbach wird uns auf unserer letzten
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