Die Burg der Könige
Reise begleiten«, sagte Melchior freundlich. »Sorgt dafür, dass er bis dahin nicht auf dumme Gedanken kommt.« Lächelnd wandte er sich an Mathis. »Wir sind ein langes Stück Weg gemeinsam gegangen, doch alles hat einmal ein Ende. Schön, dass Ihr uns trotzdem noch helfen wollt. So wie es aussieht, wird es in Speyer einiges zu schaufeln geben.«
»Zum Beispiel sein eigenes Grab«, erwiderte der Graf, drehte sich um und stapfte die Treppe zum Burghof hinab.
***
Es war eine seltsame Schar Trauergäste, die sich etwa drei Stunden später auf dem Trifelser Burgfriedhof einfand, um die Gebeine Constanzas der Erde zu übergeben.
Agnes musste an die Beerdigung von Martin von Heidelsheim vor etwa einem Jahr denken. Damals hatte ihr Vater noch gelebt, und Pater Tristan hatte die Grabrede gehalten. Ihre Zofe Margarethe, die Köchin Hedwig, Ulrich Reichhart und die anderen Burgmannen, alle waren sie damals noch hier auf dem Trifels gewesen. Jetzt waren sie tot oder in alle Winde zerstreut. Von den Burgmannen Gunther und Eberhart fehlte jede Spur. Agnes wusste nicht, ob sie beim Sturm der Bauern ums Leben gekommen waren oder noch rechtzeitig hatten fliehen können.
Wenigstens die Köchin Hedwig hatte den Angriff damals überlebt. Köhler aus der Gegend, die der Graf zu Aufräumarbeiten abkommandiert hatte, hatten Agnes und Mathis erzählt, dass Hedwig bei ihrer Schwester in Queichhambach untergekommen sei. Von den Köhlern erfuhren sie auch, dass Mathis’ Mutter und seiner kleinen Schwester Marie letzte Nacht die Flucht gelungen war. Als die Mauern sturmreif geschossen waren, hatten sich die beiden durch eine Lücke nach draußen gerettet und waren hinunter nach Annweiler gelaufen.
Nun stand Agnes mit Mathis, dem Grafen und Melchior von Tanningen vor einer hastig ausgehobenen Erdkuhle, in der eine kleine Truhe mit Eisenbeschlägen lag. Das Grab Philipp von Erfensteins, auf dem ein schlichter kleiner Grabstein lag, befand sich direkt daneben. Ein paar Landsknechte, die zur Bewachung der beiden Gefangenen abgestellt waren, lümmelten an der Friedhofsmauer. Im Hintergrund ragten die rußgeschwärzten Burgmauern empor, die an vielen Stellen Löcher zeigten. Der Palas sah aus wie der zerborstene Zahn eines Riesen. Agnes konnte sich kaum noch vorstellen, dass diese Ruine einmal ihr Zuhause gewesen war.
Wie in Trance starrte sie auf die Büchertruhe, die sie zuvor noch aus ihrem ehemaligen Schlafgemach geholt hatte. Das berühmte Falkenbuch war, wie der Großteil der Bibliothek, beim Angriff der Bauern zerstört worden. Nun diente die Truhe als Sarg für die ausgebleichten Knochen ihrer Vorfahrin. Zwei Landsknechte hatten die Überreste Constanzas aus der unterirdischen Kammer geholt. Kurz nachdem sie den Kaisersaal verlassen hatten, war ein Beben und Rumpeln durch den Bergfried gegangen, und der Gang war endgültig verschüttet worden. Agnes lächelte traurig. Nun konnten Barbarossa und die übrigen deutschen Könige und Kaiser wenigstens wieder in Frieden unter dem Trifels schlafen.
Das Geheimnis der verborgenen Kammer war für immer versiegelt.
»In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Amen.«
Während Agnes das Abschiedsgebet für Constanza murmelte, streute sie eine Handvoll Erde über die Truhe. Neben ihr griff Mathis zur Schaufel und begann langsam, das Grab zuzuschütten. Der junge Schmied war von den letzten Stunden sichtlich gezeichnet, er hinkte, sein Gesicht war grün und blau geschlagen, und verkrustetes Blut klebte an seinen Mundwinkeln. Trotzdem strahlte er eine Ruhe und Furchtlosigkeit aus, die Agnes bewunderte. Es schien, als habe er sich mit seinem Schicksal abgefunden.
Ebenso wie ich , dachte sie. Wir werden nach Speyer gehen und dort gemeinsam sterben. Wie einst Johann und Constanza.
Sie kniete sich nieder, schlug ein Kreuz und strich ein letztes Mal über den frisch aufgeschütteten Grabhügel.
Schlafe friedlich, Constanza. Ich werde dir schon bald folgen …
»So, dann hätten wir das ja endlich«, ließ sich der Graf plötzlich laut vernehmen. Er klatschte in die Hände und gab den Landsknechten an der Friedhofsmauer ein Zeichen. »Bindet die beiden auf ihre Sättel, und dann lasst uns schleunigst aufbrechen. Je eher wir wieder zurück sind, umso besser.«
Die Männer packten Agnes und Mathis und schleppten sie zu einer Gruppe Pferde, die im unteren Burghof standen. Im Vorübergehen blickte Agnes empor zu den verkrümmten Leichen der Bauern, die noch immer an den Zinnen hingen.
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