Die Burg der Könige
der Raubritterburg Hans von Wertingens. Die Verbindungen der Scharfenecks zum früheren Pfälzer Kurfürsten Friedrich hatten das Geschlecht reich und mächtig werden lassen, ihr Anwesen war das prächtigste im gesamten Umland.
»Ihr seid tatsächlich so hübsch, wie man mir berichtet hat«, sagte Friedrich von Scharfeneck lächelnd und nippte an seinem Pokal. »Eure Mutter muss eine wahre Schönheit gewesen sein.«
Agnes sah auf und betrachtete den Grafen genauer. Mit übereinandergeschlagenen Beinen lehnte er jovial in dem hölzernen Sessel. Sein schwarzer ausgeschnittener Bart ließ ihn älter erscheinen, als er wohl tatsächlich war, kleine Tropfen Rotwein perlten von seinen fleischigen Lippen. Er war ein schöner, wohlgewachsener Mann, auch wenn Agnes spürte, dass er sich dessen durchaus bewusst war. Die ganze Haltung des jungen Adligen war die eines Menschen, der stets bekam, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Eine seltsame Aura ging von ihm aus, und Agnes wusste zunächst nicht, ob sie ihr zuwider war oder sie anzog.
»Habt Dank, mein Herr«, erwiderte sie. »Leider ist meine Mutter schon lange tot. Ich kann mich deshalb nicht erinnern, wie sie aussah.«
Der Burgvogt mischte sich lachend ein. »Glücklicherweise kommt sie nicht nach mir«, sagte er und griff nach seinem Kelch. Agnes erkannte an seiner schweren Stimme, dass er schon einige Gläser getrunken hatte.
»Nun, was den Eigensinn angeht, vielleicht doch.« Scharfeneck zwinkerte seinem Gastgeber zu. »Die Leute erzählen jedenfalls die merkwürdigsten Dinge über Eure Tochter, Erfenstein. Eine junge Frau, die lesen kann, von den Rittern der Tafelrunde schwärmt und mit ihrem Falken auf die Jagd geht. Und Letzteres auch noch in Beinlingen!« Er lachte leise. Mit sichtlichem Wohlgefallen musterte er Agnes, die heute einen schlichten Leinenrock und ein enges Mieder trug. »Im Kleid gefallt Ihr mir jedenfalls weitaus besser.«
»Das freut mich, Exzellenz«, erwiderte Agnes kühl, während sie spöttisch die geckenhafte Strumpfhose des Grafen betrachtete. »Wobei mir Eure Beinlinge auch viel zu eng wären. Im Kampf unter echten Männern stelle ich sie mir eher hinderlich vor.«
»Agnes!«, zischte ihr Vater. »Bist du wahnsinnig, so mit dem Grafen …« Doch Scharfeneck hob gebieterisch die Hand.
»Lasst sie, Vogt«, befahl er. »Ich mag Weiber, die über eine flinke Zunge verfügen.« Er zwinkerte ihr zu. »Sie sollen im Bett besonders leidenschaftlich sein. Was ist mit Euch, Agnes? Welcher glückliche Mann darf schon bald unter Eure Decke schlüpfen?«
Erfenstein räusperte sich. »Ich wollte sie eigentlich mit meinem Verwalter Martin von Heidelsheim verloben«, murmelte er. »Immerhin stammt der Bursche aus dem Wormser Patriziertum. Aber unglücklicherweise hat er sich davongemacht.«
»Er hat eine solche Schönheit sitzenlassen?« Friedrich von Löwenstein-Scharfeneck zog die Augenbrauen hoch. »Dann muss er ein echter Dummkopf sein oder Eure Tochter seltsamer, als ich dachte. Wie alt ist sie?«
»Ich bin sechzehn, Exzellenz«, antwortete Agnes selbst. »Diesen Sommer werde ich siebzehn.«
»Also beinahe schon eine alte Jungfer.« Der Graf lachte leise und zwinkerte ihr zu. »Nun, ich will für Euren Vater hoffen, dass er bald einen anderen Mann für Euch findet. Andererseits habe ich so Gelegenheit, mit Euch auch in Zukunft noch das eine oder andere Mal zu plaudern.« Er hob sein Glas. »Auf gute Nachbarschaft, werte Dame.«
»Auf … gute Nachbarschaft?« Agnes blickte verwirrt vom Grafen hinüber zu ihrem Vater. »Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
»Die Löwenstein-Scharfenecks haben vom Zweibrückener Herzog Burg Scharfenberg übertragen bekommen«, murmelte Erfenstein in seinen Bart. Sein Blick ging ins Leere. »Der junge Graf möchte das gute Stück wieder instand setzen und schon im Sommer dort einziehen.«
»In Scharfenberg einziehen ?« Agnes lachte laut auf, ein Geräusch, das in dieser trostlosen Umgebung seltsam fremd wirkte. »In diese Ruine?«, fragte sie schließlich. »Aber warum, Exzellenz? Ihr habt doch bereits eine prächtige Burg, eine der schönsten im ganzen Wasgau. Also weshalb …«
»Agnes, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du deinen Mund halten sollst, wenn du nicht gefragt wirst?«, knurrte Erfenstein.
Graf Scharfeneck lächelte schmal, er taxierte Agnes mit neugierigen Blicken. »Die Frage ist berechtigt und zeigt, dass Eure Tochter für eine Frau über erstaunlich viel Scharfsinn verfügt. Ihr
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