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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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gekocht und dem Pater dabei zugesehen, wie er einer runzligen alten Frau die Letzte Ölung gab. Später erfuhr Agnes, dass diese Frau gerade mal vierzig Jahre alt war und acht Kinder zurückließ, von denen das jüngste noch einige Tage zuvor an der Brust gestillt worden war. In den letzten drei Tagen hatte Agnes so viel gelernt wie zuvor in drei Jahren nicht.
    Vor allem aber hatte sie das Leid der Bauern gesehen. Die Menschen lebten von verfaulten Rüben und hartem, mit Eichelmehl und Bucheckern verbackenem Brot. Sie arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, um ihre kargen Felder und spärlichen Gemüsebeete zu bestellen. Sie krümmten sich und buckelten, während ihre Säuglinge in eng ge­wickelten Tüchern in den Bäumen am Ackerrand im Wind schaukelten und sich vor Hunger die Seele aus dem Leib schrien.
    Dieses Leben hatte so gar nichts zu tun mit den Geschichten und Bildern, die Agnes aus der Trifelser Bibliothek kannte. Ihr war, als hätte sie ihr ganzes bisheriges Dasein in einer engen Bücherstube zugebracht und plötzlich hätte jemand das Fenster aufgerissen und das wahre Leben hereingelassen.
    Und dieses Leben stank. Es war jämmerlich, hässlich und himmelschreiend ungerecht. Oft fragte sich Agnes, wie Gott so etwas zulassen konnte.
    Schwer atmend vom steilen Anstieg blickte sie nach einer Weile nach oben und sah, dass ihr Margarethe entgegenkam. Die Zofe ging beschwingten Schritts, ihr Haar war hübsch gekämmt, und um den Hals trug sie glitzerndes Geschmeide, das sich beim Näherkommen als billiges poliertes Kupfer mit ein paar Glassteinen entpuppte. Trotzdem präsentierte Margarethe den Schmuck wie eine hohe Herrin. Als sie auf gleicher Höhe waren, machte die Zofe einen Knicks, doch Agnes sah, dass es ihr unangenehm war.
    »So schön herausgeputzt?«, fragte Agnes lächelnd. »Du siehst nicht aus, als würdest du zum Wäschewaschen runter zur Queich gehen.«
    »Ich … ich habe all meine Arbeit erledigt, Herrin«, entgegnete Margarethe unsicher. »Seit Sonnenaufgang bin ich auf den Beinen und hab der Hedwig in der Küche geholfen. Jetzt hat sie mir bis zum Abend freigegeben. Es sei denn, die Herrin braucht mich noch …« Sie machte eine Pause und sah Agnes flehentlich an. Doch diese winkte nur ab.
    »Du hast dir ein wenig freie Zeit verdient.« Agnes zwinkerte ihrer Zofe zu. »Wenn du mir dafür verrätst, wer dir das hübsche Geschmeide geschenkt hat.«
    »Oh, das.« Margarethe tat so, als würde sie es erst jetzt bemerken. »Das … das hab ich aus Annweiler.« Sie tastete danach, und ein Lächeln umspielte ihre spröden Lippen. »Es ist schön, nicht wahr? Ein Kaufmannsgeselle aus Speyer hat es mir gegeben. Er kommt öfter in die Gegend und … er mag mich wohl.«
    »Heute ist er wohl wieder in Annweiler?«, bemerkte Agnes leise.
    Margarethe nickte, und Agnes durchfuhr ein kleiner Stich. Wenn ihre Zofe wirklich einen vermögenden Freier gefunden hatte, war ihr das nur zu gönnen. Trotzdem spürte sie selbst fast so etwas wie Eifersucht. Irgendwann würde Margarethe vermutlich den Mann heiraten, den sie wollte. Und Agnes selbst? Mittlerweile hoffte sie nur noch, dass der nächste Bräutigam, den ihr Vater präsentierte, wenigstens nicht so jämmerlich war wie Heidelsheim. Mathis würde wohl immer nur der Mann ihrer Träume bleiben.
    Und Träume verblassen irgendwann , dachte sie traurig.
    »Ich wünsch dir viel Glück, Margarethe«, sagte Agnes nach einer Weile. Sie gab sich einen Ruck. »Und nun geh schon, bevor dein Speyerer Kaufmann sich noch auf und davon macht.«
    »Danke, Herrin.«
    Erleichtert machte Margarethe einen Knicks und eilte den Burgberg hinab. Schon bald war sie hinter der nächsten Biegung verschwunden.
    Agnes wandte sich um und ging langsam weiter, vorbei an der hohen Trifelser Burgmauer und am Brunnenturm. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihre Gedanken zu Mathis wanderten, und sie verspürte einen leisen Schmerz. Wie Pater Tristan ihr geraten hatte, hatte sie dem jungen Schmiedgesellen keinen weiteren Besuch abgestattet. Doch leider hatte der Mönch bei ihrem Vater bislang nichts erreichen können. Seit dem letzten Besuch war Philipp von Erfenstein noch zwei weitere Male beim herzoglichen Verwalter in Neukastell gewesen, seitdem war er noch verschlossener und launischer als ohnehin schon. Was mochte dort nur vorgefallen sein? Oft sah sie ihren Vater grübelnd im Rittersaal auf und ab marschieren, mehrmals hatte er Ulrich Reichhart gebeten, mit ihm in die

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