Die Burg
Geschichte. Mein Bruder ist ja bekennender Karnevalist, und kurz nachdem die Städtepartnerschaft zustande gekommen ist, ließ die Worcester Militia nachfragen, ob es hier in Kleve nicht auch eine historische Gruppe gebe, mit der man sich treffen könnte. Und die Klever hatten anscheinend überhaupt keine Ahnung, um was es sich bei der Militia handelte, sie wussten nur, dass sie sich kostümierten und merkwürdige Waffen trugen. Und da sagte man sich: Passt doch prima zum Karneval, Sturm aufs Rathaus, Mitmarschieren im Rosenmontagszug. Die Militialeute sollten in Gastfamilien untergebracht werden, und mein Bruder suchte händeringend Freiwillige. Da haben Ruth und ich schließlich gesagt: Okay, wir nehmen jemanden auf, solange du uns aus dem Karnevalsrummel heraushältst. So haben wir David kennengelernt, Mädchen für alles bei der Truppe, Musketier, Sprengmeister, Organisator, Schmied und Chefkoch.»
Er deutete zur Kochgrube, wo ein Hüne mit Löwenmähne mit ein paar Pfannen hantierte. «Er zaubert uns noch irgendeinen Nachtisch, aber er kommt gleich. Er will euch unbedingt kennenlernen.»
Die Militia war also zum Karneval 1991 angereist, hatte sich in der Stadt versammelt, in ihren kostbaren Kostümen, bis an die Zähne bewaffnet mit Piken, Musketen und Säbeln und wild entschlossen, im tapferen Kampf dem Bürgermeister den Schlüssel zum Rathaus abzuringen. Und was hatten sie vorgefunden? Eine Horde Männer in grellen Polyesterjacken mit seltsamen, gefiederten Hüten, die schunkelnd und klatschend Lieder plärrte und zwischendurch immer wieder unvermittelt «Kleve – helau!» brüllte. Was bedeutete dieser Schlachtruf? Man hatte keine Ahnung, entschied sich dann aber, mit einem kräftigen «Worcester – Sauce!» zu antworten. Schließlich hatte der Mann mit der längsten Feder am Hut eine Rede gehalten, dann hatte der Bürgermeister eine Rede gehalten und den Rathausschlüssel ganz ohne Gegenwehr herausgerückt. Kein Kampfgetümmel, kein Schwarzpulver, kein Spaß.
Ratlos und frustriert waren die Militialeute in ihre Gastfamilien zurückgekehrt. «Und Ruth und ich standen auf einmal, weil wir einigermaßen Englisch sprechen, als Mittler da und mussten das Missverständnis aufklären. So hat es sich ergeben, dass wir mit einigen von ihnen mittlerweile ganz gut befreundet sind und uns auch privat gegenseitig besuchen.»
Toppe prustete. «Worcester-Sauce, gut gekontert! Macht ihr denn am Sonntag beim Sturm mit?»
Toni schüttelte den Kopf. «Nein, das nicht. Man hat mich ausgeguckt, ich soll als stellvertretender Bürgermeister die Show eröffnen. Wir beide müssen auf der Ehrentribüne stehen. Aber vielleicht können wir hinterher etwas zusammen unternehmen.»
«Gute Idee», sagte Ruth, «kommt doch einfach zum Essen zu uns. Ich koche einen Eintopf vor, den wir dann nur noch aufwärmen müssen. Er wird uns guttun, wenn wir den ganzen Nachmittag in der Kälte gestanden haben.»
Zwei
Sie waren schon eine gute Stunde vor dem Beginn des großen Spektakels auf der Burg angekommen, weil Astrid unbedingt einen guten Zuschauerplatz ergattern wollte.
«Jetzt mach dir nicht so viele Gedanken», sagte sie aufmunternd zu Toppe. «Katharina findet es bestimmt toll. Wir haben ihr das doch alles erklärt, sie weiß, dass es nichts anderes ist als ein Theaterstück.»
Toppe bezweifelte das. Er war gestern schon hier gewesen, als das Podest für die Ehrengäste aufgebaut worden war und die Militia ihre Vorbereitungen getroffen hatte, während die Kollegen die Sicherheitsvorkehrungen überprüft hatten. John hatte ihm erklärt, dass sie eine Schlacht aus dem 80-jährigen Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden nachstellen würden, der ja in den Klever Landen besonders heftig getobt hatte. Ein Teil der Militia würde sich als Spanier in der Schwanenburg verschanzen, der andere Teil, die Niederländer, würde angreifen und die Burg nach erbittertem Kampf schließlich einnehmen. Es würde alles sehr echt aussehen mit einer Menge Kunstblut und vielen vermeintlich Toten.
Als Toppe kam, war John gerade dabei gewesen, an verschiedenen Stellen im Gras nah an der Burgmauer größere Sprengladungen, sogenannte ground charges, anzubringen, die per Fernzündung ausgelöst werden sollten. Die Soldaten würden die große Kanone zünden und abfeuern, aber selbstverständlich wäre sie nicht geladen, also musste man den Einschlag der Kanonenkugel anders darstellen. «And I promise, that will be really loud», hatte John begeistert
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