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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sich mit der Bürste durch die Haare. Bevor sie schlafen geht, setzt sie sich noch an den Brief für Hippo, an dem sie jeden Tag schreibt, bis sie eine Adresse hat, an die sie ihn schicken kann.
    »Deine Arme sind nicht hier, um mich hochzuheben, Dein Lachen nicht, mit dem Du mein Nachhausekommen feierst, Dein nachgeahmtes Sirenengeheul, mit dem Du mich zum Lachen bringst, nicht einmal Deine Stimme. Niemand fragt mich etwas, niemand wartet auf mich. Deine Abwesenheit ist übergroß, sie sackt auf unser Bett in seinem Sommerkleid, erklimmt die behelfsmäßigen Regale und den Tisch, klettert die mit Plakaten zugepflasterten Wände hoch und legt sich über die dunkle Luke. Habe ich mich in der Wohnung geirrt? Ich will nichts mehr wissen vom Tschirpen der Vögel und schon gar nicht vom Maunzen der Katzen beim Liebesspiel auf den Dächern, das Du nicht mehr hörst. Ich will nicht unseren Himmel von Paris sehen, und auch nicht die Kastanienbäume vor dem Val-de-Grâce, auf die Du nie wieder mit mir blicken wirst.«
    Wieso nie wieder? Sie übertreibt, lässt sich beim Schreiben gehen. Etwas Eiskaltes kriecht ihr den Rücken hoch und setzt sich ihr in den Nacken. Sie wollte ihm gegenüber nur zum Ausdruck bringen, dass es ohne ihn nicht dasselbe ist, dass ihr nichts mehr Freude macht, doch stattdessen hat sie eine schreckliche Zukunft beschrieben und in der letzten Zeile dieses schockierende »nie wieder«. Selbst wenn sie in Spanien bleiben, können sie doch nach Paris fahren, sich an dem Sommerhimmel laben, den Katzen beim Liebesspiel lauschen. Das alles ist nicht unwiederbringlich. Sie streicht die falsch gesetzten Worte aus, aber man sieht die Korrektur, sie wird es noch einmal abschreiben. Sie muss verhindern, dass die Traurigkeit sie vereinnahmt, Hipólito ist in Madrid, und sie muss ihre Reise vorbereiten, mit Freude.
    »Ich liebe Dich«, schreibt sie, den Schmerz aus der Brust verbannend, die Trauer, die sie noch immer gepackt hält. »Sag mir, mein Liebster, legst Du Dich zumindest zwei Stunden am Tag hin? Isst Du gut? Du musst Dir nicht gleich Arbeit suchen, genieß die Sonne, geh nicht zu viel zu Fuß. Vergiss nicht, Dich zu wiegen. Pass auf, dass Du nicht an Gewicht verlierst. Ärgere Dich nicht über mich, wenn ich zum hundertsten Mal meine Mahnungen wiederhole. Ich bin weit weg und ich werde langsam unruhig. Du musst auf Deine Gesundheit achten, um jeden Preis.«
    Die über die Linien hinausreichenden, ausgreifenden Buchstaben, »um jeden Preis«, jetzt weint sie doch, »um jeden Preis«, wiederholt sie in riesigen Buchstaben, »pass auf Dich auf, pass auf Dich auf«, argentinisch, ohne Akzent, und unterstreicht die Wörter mit einem dicken Strich, aber das alles macht ihr nichts mehr aus, denn sie schreibt auf irgendeiner Seite ihres Hefts weiter. »Sterbe nicht, bitte, sterbe nicht«, schreibt sie unter eine ihrer vielen Listen, die sie zusammenstellt: Andrée das Geld zurückgeben. Näheres herausfinden über die Reportagen. Reisetasche. Und dann noch, wie einen Punkt mehr, den sie vor Antritt ihrer Reise erledigen muss: »sich beruhigen. Die Angst in den Griff bekommen«.
    Ich gehe die Seiten deines Hefts mit dem schwarzen Plastikumschlag durch und sehe deine langen Aufgabenlisten und in ihnen dein Bedürfnis, alles zu bedenken, was mitzunehmen ist und was nicht, ob sie die Handtücher besser in Paris kauft oder in Madrid, ob Hippos Regenmantel noch eine Weile dicht hält. Diese große Sorge um Alltagsdinge, wie viele wertvolle Tage hast du damit verloren – was du noch sehr bedauern solltest –, um immer noch mehr Geld zu verdienen. Am Anfang waren es 600 Franc, die du nach Madrid mitnehmen wolltest, dann 900, 1300. 2400 waren zu schaffen, du würdest sie dir nicht entgehen lassen, als bequemes Polster, auf dem Hippo sich ausruhen konnte auf eurer langen Reise durch ganz Spanien. »Die Zukunft gehört uns, wenn wir uns ihr zu zweit stellen«, schriebst du ihm.
    Die Zukunft abzusichern wurde deine Obsession. In deinen Briefen an Hippo sprachst du über unzählige Vorhaben. Reportagen, die ihr nach Frankreich schicken würdet, eine Reihe mit Kinderbüchern, Artikel, Übersetzungen, sogar eine Modeseite, auf der einfacher geschnittene Modelle der Haute Couture jungen Arbeiterinnen zugänglich gemacht werden sollten. Stundenlang tüfteltest du mit Katja an den Schnittmustern, mit denen du an Frauenzeitschriften herantreten wolltest.
    Die Reisen, die ihr unternehmen würdet, die Menschen, der Preis für

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