Die Capitana - Roman
sitzt Mika nun, im Lycée Français , und soll so lange bleiben, bis man ihr freies Geleit gibt, um nach Frankreich zurückzukehren, so haben es ihre Freunde gesagt. Sie hat sich gefügt, weil sie erstmal ein Versteck braucht, aber sie wird nicht weggehen, sie wird den richtigen Moment abwarten, um in den Kampf zurückzukehren, Seite an Seite mit ihren Milizionären.
An einigen Frontabschnitten gibt es noch Kämpfer des POUM , obwohl sich bestätigt, was man ihr gestern gesagt hat: dass die 21. Division, bestehend aus POUM -Mitgliedern, aufgelöst wird, es bleibt wenig Hoffnung. Rovira, der Kommandant, ist wegen Hochverrats beschuldigt und festgenommen worden.
So viel Schreckliches ist geschehen, während sie in der Tscheka war. Gestern Abend kam Amparo, Quiques Tante, von anarchistischen Freunden unterrichtet, sie besuchen. Als sie ihr die Neuigkeiten erzählte, konnte Mika es kaum glauben, so bestürzend waren sie. Quique festgenommen, ebenso Juan Andrade, Pedro Bonet, Julián Gorkin, Escuder und Paul Thalmann. In Barcelona wurden nicht nur die Anführer des POUM festgenommen, sondern Hunderte seiner Mitglieder. Andreu Nin ist in irgendeinem Gefängnis verschwunden, bis jetzt hat niemand herausgefunden, wo er ist. Kurt wurde bei Freunden zu Hause abgeführt, und Katja organisiert im Frauengefängnis einen Hungerstreik, dem sich reguläre Häftlinge angeschlossen haben. Die liebe und tapfere Katja, wie gern würde sie sie umarmen, ihr Mut machen.
Zum Glück haben sie Mika in Madrid festgenommen, sagte Amparo zu ihr, zum Glück waren Juan Ojeda, Cipriano Mera zur Stelle. Und für sie war sogar die Wendung, die Andrei Kozlovs Verrücktheit genommen hatte, ein Glück, denkt Mika, denn das hat ihr Zeit gegeben und den anderen die Möglichkeit, ihr das Leben zu retten.
Nur was für ein Leben. Das Leben, wie sie es sich ausgedacht hatten, war aus zwei Fäden gewebt, Mika allein findet darin keinen Halt. Wie soll sie allein ein Leben führen, das ein Leben zu zweit war, so reich an Plänen, an Gefühlen. Einzigartig. Ohne ihn ist das Leben für Mika undenkbar. Sie kann nicht ohne ihn leben.
Als sie vom Tod umgeben war, ertrug sie das Alleinsein gut. Er fehlte ihr nicht, als die Bombe sie unter dem Schlamm begrub, auch nicht, als die Feinde mit Maschinengewehren auf sie schossen, als sie unter Hunger litten, den Läusen und der Kälte, die ihnen in die Knochen kroch. In der täglichen Brutalität des Krieges hat sie die Einsamkeit nicht gefühlt, aber in diesem schönen und lichten Zimmer sitzt er überall. Im Sessel kommentiert er die Bücher, die er gerade liest, er wartet im Bett auf sie, im Fenster im Licht der Abendsonne.
Sie tritt an das große Fenster, das auf eine von Bäumen gesäumte Straße hinausgeht, und beim Anblick der glänzenden Kuppel vor dem rötlichen Madrider Abendhimmel, den er nicht mehr sieht, gibt es ihr einen Stich. Sie schließt die Augen. Ein fast körperlicher Schmerz. Ihr ist schwindlig, sie fühlt sich verloren, streckt die Hand aus, um sich an seine Abwesenheit zu klammern, hält sich den Mund zu, um einen Schrei zu unterdrücken, nie wieder seine grauen Augen, seine warme Stimme, sein Körper, nie wieder er.
Was soll sie tun, in Zukunft, jetzt, fragt sie sich, während sie in den Sessel sinkt.
Auf dem Tisch sieht sie ihre kleine Ledertasche, die sie in der Wohnung in der Meléndez Valdés gelassen hatte, als sie mit ihrer motorisierten Kolonne nach Zaragoza aufbrach. Sie hat keine Ahnung, wie sie hierher gekommen ist, Marie-Louise muss sie irgendwo untergestellt haben, als sie mit ihrem Sohn nach Frankreich ging. Sie öffnet sie und erblickt das malvenrote Kleid, das Hippo ihr in Paris gekauft hat, kurz vor ihrem Aufbruch nach Spanien.
Wie sie den weichen Stoff berührt, hat sie auf einmal seine glänzenden Augen vor sich, seine Finger, die sie streicheln, seine Arme, die sie hochheben, sein Lachen. Die zärtlichen Kosenamen, ma douce , morena mía, mon cri-cri , sein ins Ohr geflüstertes Mikuscha, grillito erfüllen den Raum, dröhnen zwischen den Wänden.
Mika lässt das Kleid los, als hätte sie sich an dem Stoff verbrannt. Der Umschlag mit den Briefen. Sie kann sie jetzt nicht lesen, unmöglich. Das blaue Heft, das sie in Deutschland, in Paris geschrieben haben. Der deutsche Taschenkalender aus dem Jahr 1935, den sie geschenkt bekommen hat, als sie die Übersetzungen gemacht hat. Sie schlägt ihn auf und findet einige freie Seiten. Schnell den Füller. Schreiben. Pineda de
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