Die Capitana - Roman
den Fünfzigerjahren seine erste Arbeit bei der UNESCO vermittelt hat, damit er nach Paris gehen konnte. Sie hatten immer ein sehr enges Verhältnis, und in den letzten Jahren sieht Mika voller Stolz, wie Julio sich für die Kämpfer in Lateinamerika, in Kuba und Nicaragua engagiert.
Sie freut sich sehr über seinen Besuch, umarmt ihn, gut siehst du aus, Julio, blendend, sie dagegen ist niedergeschlagen. Die Sache mit den Falklandinseln ist unglaublich, ein ganzes Land ist der Unverantwortlichkeit einer Handvoll krimineller Militärs ausgeliefert, und weißt du, was ich mir letztens anhören musste? Gleich wird sie es ihm erzählen.
Es ist schmerzlich, mit anzusehen, wie dieses Volk aufgestachelt wird, sagt Julio. Auch er hat solche Argentinier erlebt, nur wenige – schränkt er ein –, die im patriotischen Rausch waren. England gegen Argentinien, sie fiebern mit wie bei einer Fußballpartie und denken überhaupt nicht nach, wer diesen Krieg angefangen hat und zu welchem Zweck. Als ob man mit den Falklandinseln die eigenen Verbrechen verdecken und von der katastrophalen wirtschaftlichen Lage ablenken könnte. Und diese armen Jungen, die mit aufrichtiger Begeisterung in den Kampf ziehen. Schrecklich. Die Dummheit und Skrupellosigkeit dieser Militärs ist grenzenlos.
»Wie ist es möglich, dass Menschen sich dafür hergeben«, regt Mika sich wieder auf. »Und mir vorhalten, ich hätte in einem fremden Krieg gekämpft! Diese Welt kennt keine Moral mehr, Julio. Alle denken nur noch an sich selbst, sie sehen nur sich.«
Nicht alle, Mika, du übertreibst. Na gut, Julio, nicht alle. Und daraufhin sein breites Lächeln: So gefällst du mir.
Ach, die Freunde, wie gut sie ihr tun.
Sie begleitet ihn nach unten, Mika will eine Runde durch den Jardin du Luxembourg drehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Das findet er gut, sie soll spazieren gehen und diese Bemerkungen vergessen, die sie so angegriffen haben, sie haben keinerlei Bedeutung. Julio umarmt sie und steigt auf sein Motorrad. Gute Reise, möge sie ihn zu einem schönen Buch inspirieren, und herzliche Grüße an Carol. Julio hat recht, sie misst dem viel zu große Bedeutung bei.
Wie erst wäre Hippo empört gewesen, wenn jemand ihm gegenüber den Spanischen Bürgerkrieg als einen fremden Krieg bezeichnet hätte. Die Revolution ist dort, wo ein Span zum Anzünden bereit liegt. Er hat das sehr früh begriffen, mit neunzehn.
Wie hast du es in La bataille socialiste 1965 formuliert: »In jener ›Tragischen Woche‹ im Januar 1919, die als blutiger Markstein in die Geschichte der Unterdrückung in Argentinien einging, trat Hipólito Etchebéhère der Revolution bei so wie andere einem religiösen Orden: für immer, bis sein Herz aufhören würde zu schlagen, getragen von einem klaren und begründeten Hass, immerzu wach, jeden Tag sprungbereit, gespannt wie die Schnur eines aufgezogenen Bogens, um gegen diese absurde, habgierige und mörderische Gesellschaftsordnung zu schießen.«
8. Kapitel
Buenos Aires, 1919
Hipólito Etchebéhère kann nicht glauben, was er vom Balkon aus sieht. Brutalität und Aggression haben sich hochgeschaukelt, berittene Polizisten schleppen Juden, auf ihre Pferde gefesselt, davon. Juan, Arnold und Salvador, seine älteren Brüder, haben ihm eingeschärft, nicht auf die Straße zu gehen: zu gefährlich. Misch dich da nicht ein, das geht uns nichts an. Hipólito schiebt seinen Bruder zur Seite und geht runter.
Er sieht elegant gekleidete Herren, Zivilisten, die sich mit Revolvern bewaffnet haben und Leute festnehmen, er sieht riesige Scheiterhaufen, auf denen Möbel und Kleider von Juden verbrannt werden, er sieht Frauen und alte Leute, die von jungen Männern geschlagen werden, er hört es schreien, heulen, schimpfen. Dem kann er nicht ungerührt zusehen. Lasst sie los, ihr Schweine. Als die Bestien eine Frau schlagen wollen, greift er ein, doch sie sind mehr, ein Stoß, ein Fußtritt, noch einer, Hipólito niedergestreckt auf dem Boden.
Mit einem blauen Auge und blutender Nase rennt er die Treppe zur Wohnung hoch und schließt sich in sein Zimmer ein. Wie im Fieber verfasst er eine Schrift, die er den Wachleuten überreichen wird. »Hört die Wahrheit«, nennt er sie.
Er fertigte Abschriften an und drückte jedem Polizisten, der ihm über den Weg lief, eine in die Hand. Wie zu erwarten, landete er wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit im Gefängnis.
Was bestimmt nicht alles einen Lebensweg, Hipólito hätte genauso gut in
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