Die Capitana - Roman
wenn wir von einer Sprache in die andere wechselten, unsere gemeinsame Leidenschaft für die Revolution überwand jede Sprachbarriere.
17. Kapitel
Périgny, 1978
Guillermo Núñez war von der Idee, nach Périgny zu ziehen, einem kleinen Ort 25 Kilometer südöstlich von Paris, sofort angetan. Vorübergehend würde er bei Juan Carlos Cáceres wohnen, Musiker und Gründer des Quintetts Gotan, in dem Guillermo Kontrabass spielte. Dann würde er schon sehen.
Man hatte ihm erzählt, dass in Périgny Künstler lebten, Maler, Bildhauer, Musiker. Er konnte kaum glauben, dass diese ältere Dame, die im Nachbargarten Lilien und Mohn goss, im Bürgerkrieg Capitana gewesen sein soll.
Bonjour, Madame, ein Lächeln, dann setzte sie ihren Weg die Rue Paul Doumer hinunter fort, aber an dem Morgen war Guillermo so gut aufgelegt, dass er sich trotz seines noch etwas holprigen Französischs eine nette Bemerkung über die Blumen zu machen getraute, merci, aber du brauchst dich nicht mit Französisch zu quälen, che , ich verstehe doch Spanisch, was für eine Überraschung, was für eine Freude, hier eine Argentinierin zu treffen, in seiner Straße, einfach unglaublich. Ihre Augen wie Leuchtkäfer, und mit runder, klangvoller Stimme: Findet er es so bemerkenswert, einen solchen Glücksfall, Argentinier zu sein? Ihre junge Stimme passte nicht zu ihren grauen Haaren, ihrem die Spuren der Jahre tragenden Körper. Nein, er ist nicht einer von denen, die sich, nur weil sie aus Buenos Aires sind, für etwas Besonderes halten, sie lacht sympathisch auf, aber es freut einen einfach, so weit weg jemandem von dort zu begegnen, natürlich, stimmte Mika zu.
»Ein Kaffee?«, lud sie ihn ein. »Ein Mate?« Auch ihr Blick, ihr Schwung waren für ihr Alter zu jung.
»Sehr gern.«
Mika fragte ihn nicht, was er in Frankreich machte, und darüber war Guillermo nur froh (obwohl er nichts Anstößiges trieb, was sollte ein junger argentinischer Musiker, den es im Jahr 1978 nach Périgny verschlagen hatte, schon groß machen), an diesem Nachmittag redeten sie tatsächlich über Rock ’n’ Roll, die Rolling Stones und Led Zeppelin, von Arco Iris hatte Mika noch nichts gehört – er wollte ihr eine Kassette mitbringen –, aber dafür von Spinetta und natürlich von Magma, ein Genie, dieser Christian Vander.
Schon bei diesem ersten Gespräch staunte er nicht schlecht, Mika kannte sich mit ihren über siebzig in der Rockmusik fast so gut aus wie Guillermo. In den nächsten Tagen sollte er feststellen, dass diese außergewöhnliche Frau auch etwas von Malerei verstand, von Literatur, von Politik, von Pflanzen und von Katzen, vom Theater, von Waffen, und von Geschichte natürlich sowieso. Sie war über alles informiert und verfügte über eine enorme Menschenkenntnis, noch nie hatte Guillermo jemanden wie diese Mika Etchebéhère kennengelernt.
Ihr Gespräch setzte sich in anderen Gesprächen fort, bei Tee mit Kuchen, einem Glas Wein, einer Gemüsesuppe, den Kirschen, die sie von ihrem eigenen Baum gepflückt hatte. Sie saßen bei Mika auf der Terrasse oder im Wohnzimmer, hoch über dem Tal, genossen die prächtige Aussicht und teilten sich ihre Ansichten über die verschiedensten Themen mit, und nach und nach gerieten sie vom Meinungsaustausch ins Erzählen und vertrauten einander immer mehr an.
Ihr Häuschen hat sie in den Sechzigerjahren gekauft, erzählt Mika ihm, aber sie war schon vorher oft in Périgny gewesen, in La Grange, dem Haus der Rosmers. Ob Guillermo sich überhaupt vorstellen kann, was für wunderbare Menschen sie kennengelernt hat über die Jahre … wie viele eigentlich?, wie beispielsweise die Rosmers nur wenige Monate nach ihrer Ankunft in Frankreich. Siebenundvierzig Jahre! Von Alfred und Marguerite Rosmer hat sie ihm kürzlich erzählt. Erinnert er sich? Die Rosmers unterhielten Kontakte zu Revolutionären aus allen möglichen Ländern, und wer nach Frankreich kam, traf sich mit ihnen.
Mika hängt sich bei Guillermo ein, sie will ihm zeigen, wo einmal La Grange war, und auf dem Weg dorthin erzählt sie ihm von den langen Gesprächen mit den Rosmers, den Treffen mit den Freunden der Gruppe Que faire , den Süßspeisen, die Marguerite aus den Früchten aus dem eigenen Garten zubereitete, die Herzlichkeit, mit der sie sie jedes Mal empfingen, vor allem, als Hipólito schwer krank wurde.
Sie lebten wie in einer Kommune, das Geld wurde in einer Dose aufbewahrt, jeder gab hinein, was er hineintun konnte, und nahm, was er brauchte.
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