Die Capitana - Roman
glänzten, als er sich an diese Gespräche mit dir erinnerte, an eure Diskussionen über Weltanschauungen, die dich jedes Mal erhitzt haben, die Autofahrten, die Ratschläge, die du ihm gegeben hast, den einen oder anderen Streit, diese innige Freundschaft, die euch über zwanzig Jahre verband. Es war, als müsste er diese Begegnung zwischen dem jungen Musiker und der alten Dame mit ihrer starken Persönlichkeit gar nicht aus der Vergangenheit hervorholen. Du warst drei Jahre zuvor mit über neunzig gestorben, aber in seinen Worten, seinen Blicken warst du lebendig, faszinierend, alterslos. Eine dieser Begegnungen, die ein Davor und ein Danach im Leben eines Menschen markieren.
»Es war eine Liebesgeschichte«, würde Guillermo vierzehn Jahre und viele Gespräche später, im Jahr 2009, zugeben. »Eine besondere, andere Art von Liebe, natürlich keine Paarbeziehung, aber doch eine Beziehung zwischen Mann und Frau. Bis zum letzten Tag ihres Lebens war sie eine großartige Frau, von außergewöhnlicher Klarsicht. Und wunderschön.«
Das Heft mit deinen Aufzeichnungen aus Deutschland hatte Guillermo nicht, und auch sonst keines, er wusste nicht, wo deine Schriften geblieben waren, aber nach dieser ersten Unterhaltung mit Guillermo im Le Dôme, bei der er mir alles berichtete, was du ihm aus Berlin erzählt hattest, und auch die Artikel erwähnte, die Hippo unter dem Pseudonym Juan Rústico basierend auf euren Notizen geschrieben hatte, da nahm ich mir vor, nicht aufzugeben, bis ich deine Papiere gefunden haben würde.
Und ich fand sie.
18. Kapitel
Berlin, 1932
Menschenmassen, Rufe, Lachen, Umarmungen empfangen sie am Anhalter Bahnhof.
Du bist sehr schön, flüstert Hipólito ihr auf Deutsch ins Ohr, jubelt: endlich in Deutschland, Mikuscha.
Sie haben die Adresse einer nahe gelegenen Pension in der Schützenstraße, und die Wegbeschreibung dazu. Es ist ganz einfach, geradeaus an den Ministerien vorbei, der Post, über die breite Straße.
Hipólito schlägt vor, die Koffer in der Pension abzustellen und einen Spaziergang zu machen, er will Berlin zu Fuß erkunden, den Puls der Stadt spüren. Was Mika sagt, ist vernünftig: Es ist schon dunkel, ziemlich kalt, sie haben seit Stunden nichts gegessen, am besten nehmen sie eine heiße Suppe zu sich und gehen schlafen, morgen ist auch noch ein Tag. Aber Hipólito kann nicht bis morgen warten, er möchte sofort los, er hat einen Stadtplan, sie werden sich nicht verlaufen.
Er braucht Ruhe, das weiß er, ein leichter Vorwurf in Mikas Stimme, von Hipólito sanft abgefedert: sie soll sich nicht so viel um ihn sorgen, Liebling, das ist nicht nötig, er ist wieder bei Kräften, fast schon dick. Und dann dieses helle Lachen, auf das man einfach aufspringen muss, was sie auch tut.
Einverstanden, rasch ins Zimmer, Schals gegen die Kälte, Handschuhe und dieser warme Eintopf, den Mika in einer nahe gelegenen Wirtschaft bestellt, mit ihrem Deutsch klappt es ganz gut, so scheint es, denn man hat ihnen das Richtige an den Tisch gebracht.
»Fleisch?«, fragt Mika die Bedienung auf Deutsch und zeigt auf diese Stückchen in undefinierbarer Farbe.
»Wurst«, antwortet sie ihr, und Mika übersetzt es für Hipólito.
»Reis?«, gibt Hipólito eine Kostprobe von seinem Deutsch. »Ich spreche Deutsch«, er zeigt mit dem Finger auf die Platte und sagt »Tisch«, dann auf sich selbst, »Bär«.
Die Bedienung lacht laut: Bier?, fragt sie, Wein?
»Wir trinken nichts, danke«, sagt Mika.
»Bier, nein, Wein, nein«, macht Hipólito sich zum Clown. »Wasser.«
»Wasser schlecht, Wasser dumm«, bringt ihnen die Bedienung bei und lacht schallend über sich selbst.
Wie sympathisch. Mika wechselt ein paar Sätze mit ihr: erzählt, woher sie kommen, fragt, wie viele Jahre sie schon diese Wirtschaft betreibt, erfährt einiges über die Verkehrsmittel in Berlin. In der Leipziger Straße, fünf Fußminuten von hier, erklärt sie ihnen, können sie die Straßenbahn zum Alexanderplatz nehmen, dort möchte Hipólito hin.
»Wie gut mein Mädchen Deutsch spricht, ich bin stolz auf dich.«
Obwohl sie beide in Paris Deutschunterricht genommen haben, ist Mika ihm einiges voraus, was kein besonderes Verdienst ist, denn bei ihr zu Hause wurde Jiddisch gesprochen, so wie bei Hipólito Französisch. Sobald sie sich ein wenig zurechtgefunden haben, werden sie in die Schule der Kommunistischen Partei gehen und dort Deutsch lernen und den Kontakt zu den Arbeitern suchen, erfahren, wie sie denken, wie sie sich
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