Die Capitana - Roman
Opposition war sehr zersplittert. Und entsprechend verfälschend die Vereinfachungen, ausgehend von dem zwanghaften Bedürfnis, die Menschen ungeachtet ihrer individuellen Unterschiede in irgendwelche Schubladen zu stecken, was der Komplexität der Geschichte nicht gerecht wird.
Wir kannten Kurt Landaus Werdegang und wussten um seine Bedeutung, aber ihn zu erleben und ihm zuzuhören, wie klar er in jenen schwierigen Tagen sprach, war eine unglaubliche Erfahrung. Seine Analyse von Deutschland, dessen Organisationen so mächtig wie orientierungslos waren und das vom Nationalsozialismus wie von einer Naturgewalt überrollt wurde, war brillant. Kurt redete wie er schrieb, er entwickelte seine Gedanken Satz für Satz mit bestechender Klarheit.
Hipólito und ich teilten seine Meinung, standen aber in unserer Entwicklung woanders und wollten und mussten selbst unsere Erfahrungen machen: am Tagesgeschehen teilhaben, ohne von vornherein einer politischen Gruppierung zugeordnet zu werden, den Genossen der Gruppe Wedding genauso zuhören und mit ihnen diskutieren wie mit den Genossen in der Schule der KPD , wo wir Unterricht nahmen, mit den Leuten auf der Straße reden, in den Straßenbahnen, auf dem Markt, wir wollten alle Zeitungen lesen, bei Demonstrationen mitlaufen, die Ereignisse in ein Heft schreiben, kurz, wir wollten unsere eigenen Schlüsse aus dem Geschehen ziehen.
Die hitzigen Versammlungen der Gruppe Wedding in der Schönwalder Straße zogen sich oft hin bis zum Morgengrauen. Es wurde viel, vielleicht zu viel diskutiert. Nicht wenige Streits wurden vorsätzlich herbeigeführt.
Eine der herausstechenden Figuren der Gruppe Wedding war Jan Well. Ich lernte ihn dort kennen. Vom ersten Augenblick an wusste ich, dass er für Unruhe sorgen würde, aber ich konnte nicht ahnen, was für eine Rolle dieser alles andere als vertrauenerweckende Mensch ein paar Jahre später spielen sollte, als mir die größte Demütigung meines Lebens widerfuhr: meine Festnahme.
Trotz seiner Brillanz, seines gewinnenden Auftretens, seiner unerhörten Attraktivität und seines unverhohlenen Interesses an mir mochte ich ihn nicht. Ich sah, was andere nicht sahen: die aufwieglerische Rolle, die dieser Jan Well, wie er sich in Deutschland nannte, in der Gruppe Wedding spielen, auf welche listige Weise er auf die internen Querelen Einfluss nehmen sollte. Ich warnte Hipólito. Er dachte, ich übertreibe, dass mein Sticheln gegen diesen Jan meiner persönlichen Abneigung entsprang.
Mag sein, an Gründen mangelte es mir schon vor der Nacht des Reichstagsbrands nicht. Auf jeden Fall hatte ich mich nicht getäuscht, was seine Absichten anging, die Gruppe Wedding zu spalten, sein falsches Spiel wurde viele Jahre später, als die Archive der Sowjetunion geöffnet wurden, aufgedeckt.
Hipólito ist geblendet vom Genossen Jan Well, Landau hat ihm gesagt, dass Well 1929 bei der »Bolschewistischen Einheit«, der vereinten oppositionellen Linken, eine immens wichtige Rolle innehatte und 1930 zu denen gehört hat, die die Abkehr von den Trotzkisten vorangetrieben haben mit dem Ziel, eine neue von Kurt Landau geführte Gruppe zu gründen. Ihre Kritik am Trotzkismus richtete sich weniger gegen die Inhalte als gegen die Organisationsform. Allerdings entgeht auch Hipólito nicht, dass Jan Well Landau gern widerspricht, oftmals so geschickt, dass diesem nichts anderes übrigbleibt, als zu Wells Position überzuwechseln.
Mika geht ihm nicht auf den Leim, sie gibt ihm Kontra: Er möge es unterlassen, ihre Beiträge zu kommentieren, das Geplänkel sein lassen, hat sie ihn auf dem Treffen gewarnt, ohne es für nötig zu halten, ihre Stimme zu senken, sie sprach einfach Französisch, dessen Well, Kurt, Katja und Hannah mächtig waren.
An Mika gleitet Jan Wells feuriger Blick ab, den er ihr schamlos zuwirft, sein strahlendes Lächeln, sein Lob, wenn sie redet. Und das findet Hipólito ganz in Ordnung. Mika lässt sich – anders als die anderen Genossen, Männer wie Frauen – von seinen brillanten Reden nicht beeindrucken.
An diesem Abend nämlich, muss Hipólito zugeben, hat Jan die aktuelle Lage klug analysiert und diese auch ins Französische übersetzt, um sichergehen zu können, dass auch alle seine Worte verstehen: Es ist nicht auszuschließen, dass die Deutsche Kommunistische Partei auf die derzeitigen Umstände mit einem Kurswechsel reagiert, und dann müssen sie rasch handeln.
Hipólito war Mikas misstrauischer Blick nicht entgangen, aber er fand den
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