Die Capitana - Roman
Gedanken gut, sehr richtig, und meldete sich zu Wort, um das, was der Genosse gesagt hatte, zu untermauern und zu vertiefen (auch wenn ihm die Art missfällt, wie er seine Frau anblickt, geht ihm der Gedankenaustausch doch über persönliche Abneigungen). Aber Jan Well drehte Hipólitos Worte – leider verstand er nicht alles, was er sagte – irgendwie um, so dass auf einmal Kurt, Sascha und Hannah gegen Mika, Hipólito und Michael standen.
So darf man seine Worte nicht auslegen, erklärte Etchebéhère, er will nur die Unabhängigkeit der Gruppe bewahren, allerdings nicht, weil er anderer Meinung wäre, sondern … Weiß er, unterbrach ihn Jan, das ist klar geworden, und noch bevor Hipólito irgendetwas richtigstellen konnte, brachte dieser Jan die Versammelten mit verwirrenden Behauptungen gegeneinander auf. Nur Mika war weise genug, sich auf diese Art Wortgefechte gar nicht erst einzulassen, was Hipólito nicht so sah, Streit muss auch mal sein dürfen, wenn man etwas so Großes wie die Erneuerung der Welt vorhatte.
Aber merkst du denn nicht, mein Liebster, sagt Mika ihm auf dem Weg nach Hause, dass Jan Well die Gruppe Wedding bewusst auseinandertreiben will, so wie zuvor auch schon die Gruppe von Leon Sedov, Trotzkis Sohn.
Er glaubt nicht, dass er den Bruch absichtlich herbeiführen will, sie soll nicht übertreiben, Well ist nicht der Feind, man darf seinen Werdegang nicht vergessen: Er hat zusammen mit Sascha, Hans und Kurt die versprengten Zellen zusammengefasst, um die Opposition gegen den Stalinismus in Deutschland auf die Beine zu stellen. Seine Eitelkeit ist schuld, dass er im Mittelpunkt stehen will und Landaus Führungsrolle in Frage stellt. Aber Mika hat recht, zum Glück hat sie ihn zurückgehalten, wie klug sein Mädchen ist.
Wie gut tut es ihm, sie fest zu umarmen auf dieser Brücke über die Spree, ihre Wärme, ihre Lebendigkeit zu spüren und zu wissen, dass er in ihr eine Gefährtin, eine Freundin hat, mit der er diesen Schlüsselmoment der Geschichte zusammen erleben darf. Und alle noch auf sie zukommenden.
Ähnliches fühlte auch Mika, als sie die Straßenecke mit dem Haus von Familie Schwartz wiedererkannte, wo Katja Landau ihnen ein Zimmer besorgt hatte.
Sind wir hier nicht am ersten Abend stehen geblieben?, fragte Mika Hipólito erstaunt, als sie mit ihren Koffern vor dem Haus standen.
Berlin war groß, und doch war es genau an der Straßenecke gewesen, wo Hipólito sie in den Arm genommen hatte, wo die Spannung, die bedeutenden Momenten vorausgeht, sie elektrisiert hatte. Die Wohnung der Schwartz lag in der Wadzeckstraße (den Namen haben sie inzwischen gelernt), wenige Meter von der Neuen Königstraße entfernt, über die sie gekommen waren. Hipólito maß diesem Zufall keine Bedeutung bei, er freute sich einfach, dass die Wohnung in dem Viertel lag, das ihnen am besten gefiel, aber für Mika war es wie eine Bestätigung dafür, dass sie im Zentrum des Geschehens angekommen waren, hier, genau an diesem Ort, an dem sich die Zukunft der Menschheit entscheiden könnte.
Das Schicksal meint es gut mit ihr, sie ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und an ihrer Seite hat sie den besten Gefährten, den man sich denken kann, schreibt sie in ihr mit blauem Papier eingeschlagenes Heft.
Was für ein Glück, dass sie dieses geräumige und komfortable Zimmer mit Fenster zu einem großen Innenhof bekommen haben, dazu ein gemeinsames Bad, Küchenbenutzung und eine kleine Speisekammer, in der sie ihr bisschen Geschirr und ihre Lebensmittel aufbewahren können, inklusive: ihr Zuhause in Berlin. Ihr Chez nous in Berlin.
Leider müssen sie Ilse Schwartz ertragen. Mika mag diese Kleinbürgerin nicht, die den alten Zeiten nachhängt, als sie noch den Laden in der Straße und ein gutes Auskommen hatten, »wir lebten wie die Maden im Speck«, wie sie zu sagen pflegt, widerlich. Sie sieht sehr wohl, dass die Lage der Schwartz schwierig ist, beide sind arbeitslos und finden sich nur ungern damit ab, nun auf einige Annehmlichkeiten verzichten zu müssen, trotzdem, diese Frau ist ihr einfach zuwider.
Hipólito hat mehr Geduld mit ihr. Komm, wir gehen schlafen, hat Mika am Abend zuvor abrupt angekündigt, als Ilse zum hundertsten Mal davon anfing, dass sie dieses Zimmer niemals vermietet hätte, wenn sie nicht darauf angewiesen wären, als müsste sie sich rechtfertigen, an irgendwen hätten sie auch nicht vermietet, aber da Katja ihr versichert hatte, dass sie gebildete, wohlerzogene, weltgewandte
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